Entscheidungsstichwort (Thema)

gesetzliche Unfallversicherung. Beitragsrecht. rechtswidriger Beitragsbescheid. Nichtzugang des Veranlagungsbescheids. Beweislast

 

Leitsatz (amtlich)

1. In der gesetzlichen Unfallversicherung sind Beitragsbescheide (§ 169 SGB 7) rechtswidrig, wenn dem Unternehmen nicht zuvor ein Veranlagungsbescheid (§ 159 Abs 1 SGB 7) zugegangen ist.

2. Die Beweislast für den Zugang des Veranlagungsbescheids trägt der Unfallversicherungsträger. Bei der Anwendung des § 37 Abs 2 S 2 Halbs 2 SGB 10 sind keine "berechtigten" Zweifel bzw ist kein "substantiiertes Bestreiten" zu fordern.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 31.10.2006 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert des erstinstanzlichen Verfahrens wird unter Abänderung des angefochtenen Urteils auf 135.600,13 € festgesetzt.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird ebenfalls auf 135.600,13 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Im Streit stehen die für die Jahre 1999 bis 2004 erhobenen Beiträge nebst Säumniszuschlägen zur gesetzlichen Unfallversicherung und dabei insbesondere, ob der zugrunde liegende Veranlagungsbescheid für diesen Zeitraum zugegangen ist.

Die Klägerin, mittlerweile in Liquidation, betreibt in der Rechtsform einer GmbH ein Bauunternehmen. Sie ist Mitglied der Beklagten.

Zuletzt hatte die Beklagte die Gefahrtarife mit Wirkung zum 1. Januar 1993 und 1. Januar 1999 erlassen. Die Beklagte hatte von der Klägerin Beiträge aufgrund der Tarifstelle 01 (Hochbau aller Art) mit der Gefahrklasse 8,5, der Tarifstelle 10 (Büroreinigungspersonal; nur Betriebsangehörige) mit der Gefahrklasse 2,5 und der Tarifstelle 11 (kaufmännisches, technisches Personal) mit der Gefahrklasse 1,0 Beiträge erhoben. Veranlagungsbescheide für die Gefahrtarife ab 1. Januar 1993 und 1. Januar 1999 befinden sich nicht bei den Akten.

Mit Bescheid vom 20.04.1999 erhob die Beklagte den Beitrag für das Jahr 1998 und den Beitragsvorschuss für das Jahr 1999. Aus einem Aktenvermerk über eine am 15.06.1999 durchgeführte Betriebsprüfung geht hervor, dass die Klägerin Lohnsummen für Bauschlosserarbeiten und Güterfernverkehrtätigkeiten nicht gemeldet habe. Deswegen forderte die Beklagte mit Bescheid vom 21.06.1999, zugestellt mit Postzustellungsurkunde (PZU), Beiträge für die Jahre 1994 bis 1997 nach. Die Klägerin erhob Widerspruch und fügte “berichtigte„ Lohnnachweise für die Jahre 1994 bis 1998 bei. Mit Bescheid vom 15.07.1999 (PZU) erließ die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.04.1999 einen neuen Beitragsbescheid für das Jahr 1998, verbunden mit einem Beitragsvorschuss für das Jahr 1999. Die Klägerin erhob erneut Widerspruch mit der Begründung, da sich die Unternehmenszweige doch sehr unterschiedlich in der Bedeutung der Gefahrklasse darstellten, frage sich, wer diese Bewertung vornehmen dürfte. Ein Aktenvermerk vom 01.10.1999 notiert nach internen Rücksprachen bei der Beklagten, dass sich "an der Veranlagung der Klägerin für die Vergangenheit" nichts ändere.

Mit zwei Bescheiden vom 10.01.2000 verlangte die Beklagte Säumniszuschläge für die Jahre 1998 und 1999 in Höhe von 26 DM bzw. 11.526 DM. Mit Schreiben vom 12.01.2000 teilte die Beklagte der Klägerin mit, "eine Berichtigung der Veranlagung rückwirkend für den Prüfungszeitraum (Jahre 1994 bis 1998)" sei nicht möglich. Es verbleibe "somit bei den anlässlich der Lohnbuchprüfung vom 15.06.1999 gemachten Feststellungen". Die Klägerin antwortete mit Schreiben vom 24.01.2000, sie erhalte ihre Rechtsbehelfe aufrecht. Zur Begründung schrieb sie u. a. wörtlich: "Der Berufsgenossenschaft ist (...) eine Beratungs- und Offenlegungspflicht erteilt worden (...). Das beinhaltet auch, dass den Zwangsmitgliedern die Gefahrtarife sowie die sämtl. dazu gehörigen Rechts- und Erfassungsmittel offengelegt werden. Aus diesem Grund beziehen wir uns gemäß SGB VII § 160 Abs. 2, dass die Veranlagung zu einer zu hohen Gefahrenklasse vom Unternehmer nicht zu vertreten ist. Daher sind Berichtigungen bzw. Änderungen rückwirkend zu gestatten und Bescheide aufzuheben." Die Klägerin erhob am 08.02.2000 Widerspruch gegen die Säumniszuschlagsbescheide vom 10.01.2000. Mit Schreiben vom 02.03.2000 wandte sich die Klägerin erneut an die Beklagte und monierte unter der Überschrift "Änderung der Veranlagung", dass ihr erst jetzt Gefahrtarife zugegangen seien. Diese seien unrichtig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2000 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Beitragsbescheide vom 21.06.1999 und 15.07.1999, die Säumniszuschlagsbescheide vom 10.01.2000 und den Ablehnungsbescheid vom 12.01.2000 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Unfallversicherungsträger veranlage die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu den Gefahrklassen. Träten in den Unternehmen Änderungen ein, hebe der Unfallversicherungsträger den Veranlagungsbescheid mit Beginn des Monats auf, der der Änderungsmitteilung durch die Unternehmer folge. Die Klägerin habe die Beklagte ...

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