Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Gewährung von Prozesskostenhilfe. Anforderungen an die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht. Pflicht eines Sozialgerichts zur persönlichen Anhörung einer Partei im Rahmen der Sachverhaltsermittlung
Orientierungssatz
1. Im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage schon dann anzunehmen, wenn das Gericht zur Aufklärung des Sachverhalts im Hauptsacheverfahren noch weitere Ermittlungen vornehmen bzw. Beweise erheben muss.
2. Ein Sozialgericht hat im Rahmen der von Amts wegen vorzunehmenden Ermittlung des Sachverhalts auch bei einer dazu gebotenen persönlichen Anhörung einer Partei diese Anhörung selbst vorzunehmen. Die Einbeziehung der Protokolle früherer Anhörungen als Urkunden in den Prozess genügt deshalb im Regelfall nicht.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. November 2014 aufgehoben.
Dem Kläger wird für das Verfahren bei dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten bewilligt.
Gründe
Die Beschwerde ist begründet. Dem - bedürftigen - Kläger ist für das Verfahren der - statthaften - isolierten Anfechtungsklage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 11. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2014 Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Bevollmächtigten zu bewilligen (vgl. §§ 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - iVm §§ 114, 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -); die Klage hat hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Eine ausreichende Erfolgsaussicht kann schon dann nicht verneint werden, wenn zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen weitere Ermittlungen oder eine Beweiserhebung notwendig sind (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage § 73a Rn 7a mwN). Letzteres hat auch das Sozialgericht (SG) für erforderlich erachtet, wie bereits daraus erhellt, dass es zur weiteren Sachaufklärung die Strafakten der Staatsanwaltschaft Berlin - 253 Js 1076/13 (29210) V - beigezogen und im Wege des Urkundenbeweises auch Zeugenaussagen (u.a. des Klägers) aus dem sozialgerichtlichen Verfahren - S 58 AL 3853/09 - verwertet hat. Hinzu kommt aber, dass zur abschließenden Sachaufklärung eine Vernehmung insbesondere des benannten Zeugen H und auch eine persönliche Anhörung des Klägers erforderlich sein dürften.
Den Ausführungen des Klägers ist zu entnehmen, dass er eine Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 SGG) rügt. Denn er legt dar, dass das SG die benannten Zeugen selbst hätte vernehmen müssen, um einen unmittelbaren Eindruck von ihnen und ihrer Glaubwürdigkeit im Rahmen ihrer Aussagen zu erlangen und sich nicht mit der Verwertung ihrer in den beigezogenen Akten enthaltenen Aussagen hätte begnügen dürfen. Grundsätzlich sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit verpflichtet, den Sachverhalt "unmittelbar", dh (mittels eigener Beweisaufnahme) selbst festzustellen (vgl BSG SozR 1500 § 117 Nr 3). Davon kann im Einverständnis mit den Beteiligten abgewichen werden (vgl BSG aaO mwN). Lediglich in dem - hier nicht vorliegenden - Fall, in dem es darum geht, ob bereits gerichtlich vernommene Zeugen nochmals gehört werden müssen, liegt die Entscheidung darüber grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts (§§ 153 Abs. 1, 118 Abs. 1 SGG iVm § 398 Abs. 1 ZPO; vgl BSG SozR 1750 § 398 Nr 1; BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 VG 1/01 B = SozR 3-1500 § 117 Nr 1). Das richterliche Ermessen reduziert sich jedoch ua dann "auf Null", wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu beurteilen hat und eine abweichende Würdigung der vom Vordergericht gemachten Zeugenaussagen in Betracht zieht (vgl BSG, Urteil vom 21. Oktober 1998 - B 9 VG 2/97 R -, SozR 3-1500 § 128 Nr 12 mwN). Denn in solchen Fällen kommt es auf den persönlichen Eindruck an, den der Richter bei der Vernehmung des oder der Zeugen gewinnt. Auch zur Prüfung der Tatsachenfrage, ob dem Kläger nach dem anzuwendenden subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab für die getroffene rückwirkende Aufhebungsentscheidung auf der Grundlage von § 45 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) zumindest grobe Fahrlässigkeit anzulasten ist, bedarf es grundsätzlich dessen persönlicher Anhörung durch das erkennende Gericht.
Wegen der erforderlichen weiteren Beweiserhebung kann der Klage die Erfolgsaussicht zum maßgebenden Zeitpunkt der Bewilligungsreife des PKH-Gesuchs daher nicht abgesprochen werden.
Kosten sind im PKH-Beschwerdeverfahren kraft Gesetzes nicht zu erstatten (vgl § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Fundstellen