Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Kosten der Unterkunft und Heizung. überörtlicher Umzug aus dem Bereich des örtlichen Wohnungsmarktes. Anwendung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Anschluss an LSG Berlin-Brandenburg (L 34 AS 1724/08) und SG Braunschweig (S 17 AS 1510/08 ER). entgegen LSG Baden-Würthemberg (L 7 AS 1300/08) und LSG Niedersachsen-Bremen (L 13 AS 168/07 ER). Verhältnis zu Art. 11 GG. Bewilligung der angemessenen Unterkunftskosten bei einem Umzug innerhalb desselben Wohnortes
Leitsatz (redaktionell)
1. § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II sowohl in der seit dem 01.08.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 als auch in der seit dem 01.01.2009 geltenden Fassung des Art. 2 Nr. 9 des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 gilt nicht nur für einen Wohnungswechsel innerhalb des maßgeblichen örtlichen Bereichs, d.h. innerhalb des jeweiligen Wohnorts, sondern auch für diejenigen Fälle, in denen der Hilfebedürftige den Wohnort wechselt.
2. § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II kann nicht im Wege einer teleologischen Reduktion dahin ausgelegt werden, dass er nur für einen Umzug innerhalb desselben örtlichen Wohnungsmarkts, nicht aber für überörtliche Umzüge gilt, und ist auch nicht nach Art. 11 Grundgesetz (GG) geboten. Vielmehr bestehen verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf Art. 3 GG bei einem eingeschränkten Verständnis des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II.
3. Die vage Hoffnung auf eine Verbesserung der Arbeitsmarktposition ist nicht ausreichend, die Erforderlichkeit eines Umzugs i.S.v. § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II zu bejahen.
Orientierungssatz
1. Erhöhen sich nach einem Umzug die angemessenen Kosten der Unterkunft, so ist zu deren Bewilligung zunächst erforderlich, dass der Umzug notwendig war. Das richtet sich danach, ob plausible, nachvollziehbare und verständliche Gründe vorliegen, von denen sich auch ein Nichthilfeempfänger leiten lassen würde.
2. Der Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB 2 unterscheidet ausdrücklich nicht zwischen einem Umzug innerhalb desselben Wohnortes und dem Umzug in einen anderen Wohnort. Die Regelung ist deshalb ohne Einschränkung auch auf Umzüge Hilfebedürftiger in einen anderen Ort anzuwenden.
3. Das Recht auf Freizügigkeit beinhaltet nicht nur das Recht, die Wohnortgemeinde zu verlassen. Es beinhaltet vielmehr auch das Recht, seinen Wohnsitz an jedem Ort des Bundesgebietes zu nehmen. So genießt auch ein Leistungsempfänger Freizügigkeit, der innerhalb seiner Wohnortgemeinde umzieht. Ein sachlicher Grund für die Unterscheidung, ob ein Leistungsempfänger nach einem Umzug nicht nur an einem anderen Ort wohnt, sondern auch in einem anderen örtlichen Wohnungsmarkt oder in einer anderen örtlichen Wohnortgemeinde wohnt, existiert nicht.
Zitierung: Anschluss an LSG Berlin-Brandenburg L 34 AS 1724/08, 10.09.2009; und SG Braunschweig S 17 AS 1510/08, ER, 03.07.2008; entgegen LSG Baden-Würthemberg L 7 AS 1300/08, 17.07.2008 und LSG Niedersachsen-Bremen L 13 AS 168/07 ER, 26.10.2007.
Normenkette
SGB II § 22 Abs. 1 S. 2; GG Art. 11
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juni 2009 aufgehoben. Der Antrag der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren, den Antragsgegner zur Zahlung von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 415,87 € monatlich für die Zeit vom 24. April 2009 bis 30. September 2009 zu verpflichten.
Die 1983 geborene Antragstellerin zu 1) und ihr 2003 geborener Sohn, der Antragsteller zu 2), bezogen von der ARGE SGB II Stadt/AA B bis zum 30. September 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die Antragsteller waren seit dem 01. Januar 2007 wohnhaft in B, E . Zum 01. August 2008 bezogen sie eine Drei-Zimmer-Wohnung in B, J-Straße, mit einer Wohnfläche von 48,54 m² und einer monatlichen Grundmiete von 184,50 € zzgl. Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 80,00 € monatlich, insgesamt 264,50 € monatlich. Die ARGE Stadt Bayreuth/AA Bayreuth bewilligte den Antragstellern für den Monat September 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Zugrundelegung einer monatlichen Miete von 264,50 €.
Ausweislich eines Aktenvermerks über ein Gespräch vom 29. Juli 2008 teilte die Antragstellerin zu 1) der ARGE SGB II Stadt/AA u. a. mit, dass sie zum 01. August 2008 in die J-Straße in B und zum 01. Oktober 2008 nach B umziehe. Ausweislich eines weiteren Aktenvermerks vom 06. August 2008 beantragte die Antragstellerin zu 1) bei der ARGE SGB II Stadt/AA B die Zustimmung zum Umzug nach B. Sie habe dort Aussicht auf einen Arbeitsplatz bzw. - ihrer Meinung nach - bessere Aussichten, einen Arbeitsplatz zu finden. Mit Schreiben vom 07. August 2008 lehnte die ARGE SGB II Stadt/AA B den Antrag der Antragsteller vom 06. August 2008 auf ...