Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einstweiliger Rechtsschutz. Anspruchsausschluss für Auszubildende. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für behinderte Menschen. Härtefall. Zuschuss zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft und Heizung
Leitsatz (redaktionell)
1. Wer Anspruch auf Leistungen zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben nach dem Arbeitsförderungsgesetz hat, ist auch für eine handwerkliche Ausbildung nicht vom Bezug von Arbeitslosengeld II ausgeschlossen.
2. Für eine solche Ausbildung besteht für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ein Anordnungsanspruch auf vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld II.
Orientierungssatz
1. Liegen im Falle eines behinderten Menschen die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 97 ff SGB III und insbesondere für die Bewilligung besonderer Leistungen nach §§ 102ff SGB III vor, so verdrängen diese spezielleren Regelungen die allgemeinen Vorschriften über die Förderungsfähigkeit nach §§ 60 bis 62 SGB III.
2. Beim Ausbildungsgeld nach § 104 SGB II handelt es sich um ein aliud zur BAB nach § 59 SGB III. Der für nach §§ 60 bis 62 SGB III förderungsfähige Ausbildungen geltende Ausschluss gemäß § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II gilt damit nicht für nach §§ 102 ff SGB III förderungsfähige Ausbildungen.
Normenkette
SGB II a.F. § 7 Abs. 5 S. 1; SGB III §§ 59-60; SGG § 86b Abs. 2 S. 2
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 2007 wird geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin für die Monate November 2007 bis einschließlich April 2008 Leistungen in Höhe von insgesamt 234,00 Euro monatlich als Darlehen zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit welcher der Antragsgegner verpflichtet wird, ihr ab November 2007 monatlich 216,00 Euro für Unterkunft und Heizung sowie 18,00 Euro als Vorauszahlung auf die Stromkosten zu leisten.
Die 1986 geborene Antragstellerin ist gehörlos; der Grad der Behinderung wurde mit 100 festgestellt. Aufgrund ihrer Gehörlosigkeit erhält sie monatlich 117,00 Euro Pflegegeld nach dem Landespflegegeldgesetz (LPflGG). Die alleinstehende Antragstellerin ist seit Mai 2006 Mieterin einer Einzimmerwohnung. Eine Ausbildung zur Tischlerin brach sie im Jahr 2006 ab. Die Bundesagentur für Arbeit (BAA) erkannte einen wichtigen Grund für den Abbruch an und sagte die Kostenübernahme für eine Reha-Ausbildung zur Tischlerin im Berufsbildungswerk L für Hör- und Sprachgeschädigte g GmbH (BBW) zu. Bis zum Beginn der Ausbildung werde die Antragstellerin, so führte die BAA in einem Schreiben aus, vermittlerisch durch den Antragsgegner betreut, der entsprechend informiert werde.
Im April 2007 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von monatlich 548,26 Euro und mit Bescheid vom 31. Juli 2007 für die Monate September und Oktober 2007 solche in Höhe von monatlich 550,26 Euro.
Mit Bescheid vom 20. August 2007 gewährte die BAA der Antragstellerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in Verbindung mit § 33 und §§ 44 ff Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Bewilligt wurden für die Zeit vom 27. August 2007 bis zum 26. August 2010 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form von Lehrgangskosten, ferner einmalige An- und Abreisekosten in Höhe von jeweils 36,40 Euro sowie für den genannten Zeitraum monatlich 147,20 Euro für Familienheimfahrten und für die Zeit vom 27. August 2007 bis zum 28. Februar 2009 monatlich 93,00 Euro an Ausbildungsgeld. In dem Bescheid heißt es, Auszubildende in einer förderfähigen Ausbildung seien grundsätzlich von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II ausgeschlossen. In bestimmten Fällen sei jedoch auf Antrag die Zahlung eines Zuschusses zu den ungedeckten Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 7 SGB II möglich.
Am 10. September 2007 rief der Bevollmächtigte der Antragstellerin bei dem Antragsgegner an und erkundigte sich nach der Leistung für den Monat September 2007. Er gab an, die Arbeitsagentur habe zugesichert, dass das Arbeitslosengeld II unter Anrechnung des Ausbildungsgeldes in Höhe von 93,00 Euro weiterhin gezahlt werde. Mit Bescheid vom 11. September 2007 hob der Antragsgegner die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Wirkung vom 01. September 2007 auf, weil eine Ausbildung mit Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff SGB III begonnen worden sei. Die Entscheidung beruhe, so wird ausgeführt, auf § 7 Abs. 5, § 8 und § 9 Abs. 1 SGB II und § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 SGB III.
Unter dem 13. September 2007 lehnte der Antragsgegn...