Entscheidungsstichwort (Thema)
Bürgergeld. Unterkunft und Heizung. tatsächliche Unterkunftskosten. Gewerbezuschlag für teilgewerbliche Nutzung der Wohnung. Anerkennung während der Karenzzeit. darlehensweise Übernahme von Mietschulden zur Sicherung der Unterkunft
Leitsatz (amtlich)
1. Ein in einem Mietvertrag vereinbarter Gewerbezuschlag für die teilgewerbliche Nutzung einer Wohnung (hier: in drei von sechs Zimmern) gehört nicht zu den Unterkunftskosten im Sinne von § 22 Abs 1 S 1 SGB II. Es handelt sich um eine Betriebsausgabe, die bei der Berechnung des Einkommens aus der selbständigen Tätigkeit nach Maßgabe des § 3 Abs 2 und Abs 3 Bürgergeld-V (juris: AlgII-V 2008) von den Betriebseinnahmen abzusetzen ist. Der Gewerbezuschlag kann auch nicht - abhängig vom Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens - wahlweise bzw zeitweise den Unterkunftskosten im Sinne von § 22 Abs 1 S 1 SGB II zugeordnet werden, sondern bleibt selbst dann Betriebsausgabe, wenn aus der (weiterhin ausgeübten) selbständigen Tätigkeit keine Gewinne mehr erwirtschaftet werden.
2. Die Regelung zur Karenzzeit in § 22 Abs 1 S 2 und S 3 SGB II gilt nicht für einen Gewerbezuschlag.
Orientierungssatz
Grundsätzlich ist für die Übernahme von Schulden zu fordern, dass die laufenden Kosten für die Unterkunft abstrakt angemessen im Sinne des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 sind. Ist die mit der Übernahme der Schulden bezweckte langfristige Sicherung der Wohnung nicht zu erreichen, ist die Schuldenübernahme in der Regel nicht gerechtfertigt.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. August 2024 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Landessozialgericht mit Wirkung ab dem 7. Oktober 2024 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt R S beigeordnet. Ratenzahlungen oder aus dem Vermögen zu zahlende Beträge sind nicht zu leisten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung sowie die (darlehensweise) Übernahme von Mietschulden.
Der 1968 geborene Antragsteller und seine 1957 geborene Ehefrau, Frau G D, leben in einer von ihnen angemieteten, rund 188 m² großen Sechszimmerwohnung in der Kstraße, B. Den Mietvertrag über diese Wohnung hatten sie am 12. Mai 2005 abgeschlossen. In Anlage 1 des Mietvertrags heißt es, dass die Wohnung teilgewerblich vermietet werde und die Mieter die Genehmigung erhielten, 80 m² der Wohnung gewerblich zu nutzen. Da es sich bei der Wohnung um eine wirtschaftliche Einheit handle, sei der Mietvertrag nur insgesamt kündbar.
Seit 2008 betreiben der Antragsteller und seine Ehefrau in drei Zimmern der Räumlichkeiten (Fläche von 80 m²) gemeinsam eine Werbeagentur in der Rechtsform einer GbR. Sie bestritten aus dem hieraus erzielten Einkommen ihren Lebensunterhalt; lediglich in den Jahren 2018 und 2019 erhielten sie vom Antragsgegner ergänzend Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Die Gesamtmiete für die Wohnung einschließlich der gewerblich genutzten Räume beläuft sich derzeit auf 2.530,98 € pro Monat (Nettokaltmiete: 865,50 €; Gewerbezuschlag: 1.092,48 €; Betriebskosten: 273,- €; Heizkosten: 300,- €).
Im April 2024 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Gewährung von Bürgergeld.
Er legte im Laufe des Antragsverfahrens einen Darlehensvertrag vom 20. April 2024 vor, in welchem sich seine Mutter verpflichtet hatte, ihm und seiner Ehefrau Darlehen „zur vorübergehenden Existenzsicherung der Firma“ in Höhe von monatlich 240,- € zu gewähren. Außerdem reichte er eine unter dem 15. Mai 2024 erstellte Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit (Anlage EKS) ein.
Der Rentenversicherungsträger bewilligte der Ehefrau des Antragstellers mit Bescheid vom 27. Mai 2024 Regelaltersrente für die Zeit ab 1. April 2024. Der monatliche Zahlbetrag beläuft sich auf 526,77 €. Eine Rentennachzahlung in Höhe von 1.511,19 € ging im Juli 2024 auf dem Konto der Ehefrau ein. Ferner erhält die Ehefrau des Antragstellers eine Rente von einem privaten Versicherungsunternehmen in Höhe von monatlich 52,40 €. Daneben bezieht sie seit Juni 2024 Sozialhilfe. Der Sozialhilfeträger berücksichtigt Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der Hälfte der tatsächlichen Gesamtmiete, d. h. in Höhe von monatlich 1.265,49 € (Abhilfebescheid vom 1. August 2024).
Mit Bescheid vom 20. Juni 2024 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2024 vorläufig Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 604,78 € (für April 2024) bzw. monatlich 930,16 € (für Mai bis September 2024). Als Bedarf für Unterkunft und Heizung berücksichtigte er 412,52 € pro Monat.
Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch. Er machte geltend, dass er psychisch nicht belastbar und seit dem 6. Juni 2024 arbeitsunfähig sei. Der letzte Hauptauftraggeber habe Insolvenz anmelden müssen, sodass er und seine Ehefrau sei...