Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Erteilung einer Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Prüfungsmaßstab. abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage. keine vollständige Aufklärung möglich. Folgenabwägung. Berücksichtigung grundrechtlicher Belange. Eingriff in die Berufs- und Gewerbefreiheit

 

Orientierungssatz

1. Eine Entscheidung im Eilverfahren (hier: Erteilung einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung) ist grundsätzlich geboten, wenn dem Betroffenen anderenfalls eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl BVerfG vom 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 = BVerfGE 79, 69 und vom 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 = BVerfGE 93, 1).

2. Dabei dürfen Entscheidungen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden (vgl BVerfG vom 27.5.1998 - 2 BvR 378/98 = NVwZ-RR 1999, 217).

3. Wollen sich die Gerichte in diesen Fällen an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren, müssen sie die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl BVerfG vom 22.11.2002 - 1 BvR 1586/02 = NJW 2003, 1236, vom 29.7.2003 - 2 BvR 311/03 = BVerfGK 1, 292 und vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 = BVerfGK 5, 237). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht (vgl BVerfG vom 29.7.2003 - 2 BvR 311/03 aaO).

4. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl BVerfG vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 aaO). Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Betroffenen umfassend in die Abwägung einzustellen.

5. Wird mit der Versagung der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung in die durch Art 12 GG und Art 14 GG geschützte Berufs- und Gewerbefreiheit des Betroffenen eingegriffen, sind solche Maßnahmen nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl ua BVerfG vom 2.3.1977 - 1 BvR 124/76 = BVerfGE 44, 105).

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 4. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- € festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet und war zurückzuweisen.

Die Entscheidung des SG, die Antragsgegnerin im Wege einer gerichtlichen Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung bis zum 31. März 2018, “längstens bis zur Bestandskraft des Widerspruchsbescheides„, zu erteilen, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dies folgt aus einer verfassungsrechtlich gebotenen Folgenabwägung, ohne dass es vorliegend der abschließenden, einen erheblichen zeitlichen Aufwand erfordernden Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, zB - wie von der Antragsgegnerin beantragt - durch Vernehmung zahlreicher Arbeitnehmer/innen als Zeugen bzw Zeuginnen, bedurft hätte, die auch in Anbetracht des im Übrigen umfänglichen Vorbringens der Beteiligten untunlich ist und zudem die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl Art 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -) angesichts des hier zu beachtenden “Zeitfensters„ letztlich nicht ermöglicht hätte.

Die Gewährleistung wirksamen und daher ggfs auch schnellen Rechtsschutzes verlangt nach der Rspr des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl BVerfGE 79, 69 ≪74≫; 93, 1 ≪14≫). Dies gilt sowohl für Anfechtungs- wie für Vornahmesachen (vgl BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats = NVwZ-RR 1999, S 217 ≪218≫). Hierbei dürfen Entscheidungen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden (vgl BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, aaO). Jedoch stellt Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Die Antragstellerin hat solche schwerwiegenden Nachteile mit ihrer Antragsschrift nachvollziehbar dargelegt (vorläufige Einstellung der Betriebstätigkeit mit entsprechenden Auswirkungen auf die Leiharbeitnehmer und die wirtschaftliche Tragfäh...

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