Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Auferlegung von Kosten gerichtlicher Ermittlungen auf die beklagte Verwaltungsbehörde kommt nur in Betracht, wenn sich der Behörde die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen, ausgehend von den gesetzlichen Bestimmungen und ihrer höchstrichterlichen Auslegung oder von einem vertretbaren Rechtsstandpunkt aus, erschließen musste.
2. Kosten gerichtlicher Ermittlungen können der beklagten Verwaltungsbehörde nicht auferlegt werden, wenn die gerichtlichen Ermittlungen die tatsächlichen Voraussetzungen des Klageanspruchs erst für eine Zeit nach Erlass des Widerspruchsbescheids und nach Klageerhebung bewiesen haben.
Normenkette
SGG § 192 Abs. 4 S. 1
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. August 2012 aufgehoben.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin und Beklagte wendet sich gegen einen Kostenbeschluss gemäß § 192 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Im Hauptsacheverfahren begehrte die Klägerin die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Einen entsprechenden Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. November 2010 nach Berücksichtigung eines für die Bundesagentur für Arbeit erstellten sozialmedizinischen Gutachtens vom 19. August 2010 (bei u. a. Diagnose einer chronifizierten somatoformen Schmerzstörung tägliches Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für körperlich leichte Arbeiten) ab. Auf den Widerspruch der Klägerin, den diese unter Hinweis auf zahlreiche, zum Teil ältere und vorwiegend orthopädische Befunde begründete, veranlasste die Beklagte ein orthopädisch-unfallchirurgisches Gutachten des Dr. S vom 16. Februar 2011, in dem dieser ebenfalls zu einem täglichen Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten gelangte. Er äußerte u. a. einen Verdacht auf das Bestehen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Den psychischen Befund schilderte er als freundlich und zugewandt ohne Hinweise auf eine depressive Grundstimmung. Eine neurologisch-psychiatrische Behandlung der Klägerin erfolgte nicht. Durch Widerspruchsbescheid vom 15. März 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Im hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin (SG) durchgeführten Klageverfahren hat das SG u. a. Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 28. Juni 2012, in welchem diese anhand der Angaben der Klägerin ein seit Mai 2011 auf unter drei Stunden täglich herabgesunkenes Leistungsvermögen feststellte. Die Kosten für das Gutachten betrugen 1.612,14 Euro. Die Beklagte hat daraufhin mit Schriftsatz vom 24. Juli 2002 einen Vergleichsvorschlag unterbreitet u. a. dergestalt, dass ab dem 01. Dezember 2012 aufgrund eines Leistungsfalles am 29. Mai 2012 Rente auf Zeit bis zum 31. Dezember 2013 gewährt werde. Die Klägerin hat den Vergleichsvorschlag angenommen und den Rechtsstreit für erledigt erklärt.
Mit Beschluss vom 14. August 2012 hat das SG der Beklagten die Kosten für das von Frau Dr. S eingeholte Gutachten auferlegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach § 192 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne das Gericht einer Behörde ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch entstanden seien, dass die Behörde erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen habe, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt worden seien. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens sei notwendig und erkennbar gewesen. Diese Auffassung ergebe sich aus dem Gutachten der Frau Dr. S selber, in dem diese dargelegt habe, es wäre rückblickend sinnvoll gewesen, eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung im Rentenverfahren durchzuführen. Schon aus dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten habe sich angesichts der Diagnose einer chronischen somatoformen Schmerzstörung deutliche Hinweise für das Erfordernis einer derartigen Begutachtung ergeben. Es seien auch keine Gesichtspunkte ersichtlich gewesen, die es im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung hätten geboten erscheinen lassen, von der Auferlegung der Kosten ganz oder teilweise abzusehen.
Am 04. September 2012 hat die Beklagte gegen den ihr am 24. August 2012 zugestellten Beschluss Beschwerde eingelegt. Die Beklagte trägt vor, zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides habe keine Notwendigkeit zu weiteren Ermittlungen bestanden. Dies ergebe sich aus den Ausführungen der Sachverständigen Dr. S. Diese habe bescheinigt, dass es für sie - die Beklagte - im Verwaltungsverfahren nicht erkennbar gewesen sei, dass ein erhebliches neurologisch-psychiatrisches Leiden vorliege. Im Übrigen habe die Sachverständige ein Absinken des Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden infolge einer Verschlechterung erst auf Mai 2011 festgesetzt, also einem Zeitpunkt nach Klageerhebung. Das bedeute, dass ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten ...