Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
Leitsatz (amtlich)
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Beschwerdeverfahren ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde.
2. Eine Ausnahme hiervon ist nur dann anzunehmen, wenn effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Hauptsacheentscheidung Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine stattgebende Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen ließen.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vorliegen.
Ausweislich des bereits bei dem Sozialgericht gestellten Antrags begehrt die Antragstellerin die Gestattung der weiteren Durchführung und Abrechnung phlebologischer Leistungen gemäß Kapitel 30.5 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) jedenfalls ab Eingang ihres Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz bei dem Sozialgericht Berlin (01. Dezember 2005). Dementsprechend ist in zeitlicher Hinsicht zu differenzieren:
1. Für die Zeit vom 01. Dezember 2005 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren ist bereits zweifelhaft, ob insoweit ein Anordnungsgrund besteht. Denn ausweislich des vorgenannten Antrags der Antragstellerin könnte deren Begehren darauf gerichtet sein, eine Statusentscheidung der Antragsgegnerin herbeizuführen. Eine auf die Vergangenheit bezogene Statusentscheidung ist jedoch rechtlich nicht möglich, weil Entscheidungen, die einen vertragsärztlichen Status begründen oder ändern, jeweils nur mit Wirkung für die Zukunft herbeigeführt werden können. Darüber hinaus kann im Grundsatz eine Statusentscheidung in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch sonst nicht herbeigeführt werden, weil ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes darauf abzielt, vorläufige Regelungen herbeizuführen, während Statusentscheidungen stets endgültigen Charakter besitzen.
Indessen kann offen bleiben, ob die Antragstellerin tatsächlich eine Statusentscheidung begehrt, denn es fehlt für die Zeit bis zur Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren jedenfalls aus einem anderem Grund an einem Anordnungsgrund. Insoweit besteht keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen kann. Die Antragstellerin hat - auch nach Erhalt der Entscheidung des Sozialgerichts, die unter Anderem auf das Fehlen des Anordnungsgrundes gestützt war - keine Umstände vorgetragen, die einen Anordnungsgrund für den vorgenannten Zeitraum begründen können.
In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Ze...