Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Versäumung der Berufungsfrist. Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe innerhalb der Berufungsfrist. keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Bedeutung der zivilgerichtlichen Rechtsprechung für das sozialgerichtliche Verfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Soweit Vorschriften des SGG auf die ZPO verweisen, sind die zivilprozessualen Regelungen (nur) ergänzend und entsprechend anzuwenden. Die zu ihnen ergangene Rechtsprechung der Zivilgerichte ist daher nicht immer und nicht in jedem Fall von Bedeutung. In Bereichen, in denen die Prozessordnungen Unterschiede aufweisen, verbietet sich die Heranziehung dieser Rechtsprechung.
2. Im sozialgerichtlichen Verfahren hat die Prozesskostenhilfe eine andere Bedeutung als im Zivilprozess. Ein innerhalb der Rechtsmittelfrist gestellter Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stellt im sozialgerichtlichen Verfahren keinen Wiedereinsetzungsgrund dar.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. November 2008 wird als unzulässig verworfen.
Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Senats vom 20. Januar 2009 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 158 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluss entscheiden; er hat die Beteiligten dazu angehört.
Die Berufung des Klägers war gemäß § 158 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen, weil sie nach Ablauf der Berufungsfrist eingelegt wurde.
Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (§ 151 Abs. 2 SGG). Über diese Frist ist der Kläger in dem angefochtenen Urteil zutreffend belehrt worden.
Der Postzustellungsurkunde zufolge ist dem Kläger das Urteil am 12. Dezember 2008 durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt worden. Die oben bezeichnete Monatsfrist für die Einlegung der Berufung endete damit nach § 64 Abs. 2 SGG mit Ablauf des 12. Januar 2009, einem Montag. Die Berufungsschrift ist jedoch erst am 4. Februar 2009 und damit verspätet beim Landessozialgericht eingegangen. Zwar war bereits vor Ablauf der Frist, nämlich am 12. Januar 2009, beim Sozialgericht Berlin ein Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen. Mit diesem war jedoch ausdrücklich und ausschließlich die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt worden. Eine in ähnlich gelagerten Fällen mögliche Auslegung dahingehend, dass neben dem Prozesskostenhilfegesuch auch - unbedingt - Berufung eingelegt werden sollte, verbietet sich hier angesichts der in dem Schreiben verwendeten eindeutigen Formulierung “Die beabsichtigte Berufung hat hinreichend Aussicht auf Erfolg und ist nicht mutwillig. Bei Gewährung von Prozesskostenhilfe wird gegen das Urteil … Berufung eingelegt„.
Die bereits am 30. Januar 2009 beantragte Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist war nicht zu gewähren, denn Gründe nach § 67 SGG sind nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Prozessbevollmächtigten des Klägers ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), auf die sie sich berufen, hier nicht von Bedeutung. Zwar verweist das SGG - unter anderem - in § 73a und auch in § 202 auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO). Das bedeutet jedoch nicht, dass diese und die zu ihnen ergangene Rechtsprechung der Zivilgerichte immer und in jedem Fall von Bedeutung sind. Die Regelungen des Zivilprozesses sind im sozialgerichtlichen Verfahren zum einen nur entsprechend und zum anderen nur ergänzend anwendbar. In Bereichen, in denen die Prozessordnungen Unterschiede aufweisen, verbietet sich die Heranziehung der Rechtsprechung zu den zivilprozessualen Normen. So liegt der Fall hier. Wer als Mittelloser erwägt, einen Zivilprozess anzustrengen, wird dies nur wollen und können, wenn geklärt ist, ob und gegebenenfalls wie er die damit verbundenen Kosten aufbringen kann. Für das zweitinstanzliche Verfahren benötigt er einen Rechtsanwalt, um eine Prozesserklärung wirksam abgeben zu können (§ 78 ZPO). Das Einlegen eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung eines Sozialgerichts hingegen wird durch Mittellosigkeit weder unmöglich noch beschwerlich. Ein Gerichtskostenvorschuss wird nicht erhoben; für Versicherte, Leistungsempfänger, behinderte Menschen und deren Sonderrechtsnachfolger ist das Verfahren grundsätzlich gerichtskostenfrei (§ 183 Satz 1 SGG). Auch bedarf niemand zum bloßen Einlegen der Berufung anwaltlicher Hilfe: Mangels Anwaltszwang fehlt es einem Beteiligten nicht an der erforderlichen Postulationsfähigkeit. Wer die Berufung nicht schriftlich einlegen will oder des Schreibens nicht mächtig ist und sie daher nicht schriftlich...