Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherung. Beitragsforderung. Beschäftigung bei einem Arbeitgeber mit Sitz in Israel. Erbringung der Arbeitsleistung aus Deutschland in Form einer Online-Tätigkeit im Home Office. Beitragszahlungspflicht der Beschäftigten nach § 28m SGB 4. Beitreibung der Sozialversicherungsbeiträge seitens der Einzugsstellen gegenüber Arbeitgeber im Ausland nicht erforderlich
Leitsatz (amtlich)
Beschäftigte haben den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach § 28m Abs 1 SGB IV in den Fällen zu zahlen, in denen eine internationale Zuständigkeit der Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland für Aktivklagen gegen den Arbeitgeber fehlt. Die Einzugsstellen der Krankenkassen sind nicht verpflichtet, die Sozialversicherungsbeiträge gegenüber dem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland nach den Regelungen eines Sozialversicherungsabkommens beizutreiben.
Tenor
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Beitragsbescheides, mit welchem die Beklagte von der Klägerin für den Zeitraum von April 2019 bis Januar 2021 Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge fordert.
Die 1995 geborene Klägerin ist israelische Staatsbürgerin. Seit Juli 2016 war sie bei der GLtd. mit Sitz in Israel beschäftigt und betreute online die Vermarktung von Apps auf dem amerikanischen Markt. Um ihrer in Deutschland lebenden Schwester nach der Trennung ihrer Eltern näher zu sein, zog die Klägerin am 15. April 2019 nach Deutschland. Ihr Arbeitgeber hatte gegen die Erbringung der Arbeitsleistung aus Deutschland keine Einwände. Die Klägerin arbeitete ausschließlich im Home Office via Internet, Kunden mit Sitz in Deutschland betreute sie nicht. Sie erzielte aus ihrer Tätigkeit ein Einkommen von monatlich 8.000,00 Neue Israelische Schekel (ILS) brutto, nach Abzug von Steuern, Versicherungs- und Pensionsbeiträgen 7.002 ILS netto. Der Arbeitgeber und die Klägerin stellten keinen Antrag auf Befreiung von den deutschen Rechtsvorschriften. Der Arbeitgeber leistete keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Tätigkeit der Klägerin in Deutschland.
Nach Kontaktaufnahme der Klägerin mit der beklagten Krankenkasse, erstem Informationsaustausch am 2. Juli 2020 sowie nach telefonischer Beratung der Klägerin in englischer Sprache am 11. September 2020 erließ die Beklagte am 15. September 2020 einen Beitragsbescheid und forderte von der Klägerin für den Zeitraum vom 16. April 2019 bis 30. September 2020 die Zahlung von rückständigen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitslosenversicherung von insgesamt 9.458,75 Euro. Ferner setzte die Beklagte die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zur Gesamtsozialversicherung ab Oktober 2020 auf monatlich insgesamt 572,62 Euro fest und forderte von der Klägerin deren Zahlung. Bei der Berechnung hatte die Beklagte den in Euro umgerechneten Netto-Monatsverdienst der Klägerin um fiktive Arbeitgeberbeiträge vermindert und der Beitragsfestsetzung ein fiktives Bruttoarbeitsentgelt von monatlich 1.446,05 Euro zugrunde gelegt. Zur Begründung der Entscheidung führte sie aus, dass für die Beschäftigung der Klägerin die deutschen Rechtsvorschriften gälten und die Klägerin zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages verpflichtet sei.
Hiergegen erhob die Klägerin am 14. Oktober 2020 Widerspruch und verwies darauf, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, Beiträge zur Sozialversicherung zu leisten. Zu Unrecht fordere die Beklagte von ihr diese in voller Höhe.
Mit Änderungsbescheid vom 21. Januar 2021 setzte die Beklagte die Beiträge für die Zeit ab Januar 2021 in Höhe von insgesamt monatlich 578,66 Euro für Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge fest. Zum 1. Februar 2020 nahm die Klägerin eine selbstständige Tätigkeit auf und begründete eine freiwillige Versicherung bei der Beklagten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. September 2021 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Beitragsentscheidungen zurück. Nach § 28m Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) sei die Klägerin leistungspflichtig, wenn der Arbeitgeber nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterstehe und keine Beiträge zur Sozialversicherung zahle.
Hiergegen hat die Klägerin am 30. September 2021 vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Zwar unterliege sie nach dem deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates, jedoch habe weiterhin gemäß § 28e Abs. 1 SGB IV der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen. Zu Unrecht fordere die Beklagte die Zahlung von der Klägerin ohne einen Versuch unternommen zu haben, die Beiträge vom Arbeitgeber einzuziehen.
Mit Gerichtsbescheid vom 23. März 2022 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Der angefochtene Beitragsbescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Rechtsgrundlage sei § 28m SGB IV. Die Klägerin werde nich...