Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Klage gegen eine Entscheidung der Schiedsstelle nach § 80 SGB 12 aF. Investitionskostenvereinbarung. Nichtzustandekommen. Formfehler. Schriftform. externer Vergleich. Zugrundelegung fiktiver Kosten. Nichtvorhandensein vergleichbarer Einrichtungen. Vergleichsraum

 

Orientierungssatz

1. Vereinbarungen nach § 75 Abs 3 SGB 12 aF sind öffentlich-rechtlicher Natur, erforderlich ist daher nach § 56 SGB 10 die Schriftform.

2. Ein Angebot in einem elektronischen Dokument ohne Unterschrift und ohne qualifizierte elektronische Signatur, wie es hier in Form einer einfachen E-Mail vorliegen würde, entspricht den Formvorschriften nicht.

3. Ausgangspunkt eines externen Vergleichs müssen die Kosten von auf gleicher wirtschaftlicher Basis tätigen Einrichtungen sein. Unzulässig ist demgegenüber, den Vergleich lediglich anhand fiktiver Kosten vorzunehmen (Anschluss an BSG vom 28.1.2021 - B 8 SO 6/19 R = BSGE 131, 240 = SozR 4-3500 § 77 Nr 4).

4. Sind vergleichbare Einrichtungen im Zuständigkeitsbereich des Sozialhilfeträgers nicht vorhanden, so ist der Vergleichsraum zu erweitern. Als räumlicher Bereich, den der externe Vergleich abzudecken hat, legt § 75 Abs 2 S 12 SGB 12 den Einzugsbereich des Leistungserbringers fest. Dieser deckt sich nicht notwendig mit dem Zuständigkeitsbereich des Sozialhilfeträgers.

 

Tenor

Der Beschluss der Hessischen Schiedsstelle nach § 80 SGB XII vom 9. Mai 2017 wird aufgehoben.

Die Klägerin und der Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt - jetzt noch, nach Rücknahme eines Feststellungsantrags - die Aufhebung des Beschlusses der Hessischen Schiedsstelle gemäß § 80 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), mit dem die Vergütung für gesondert berechenbare Investitionskosten für eine von der Klägerin betriebene Einrichtung für die Zeit vom 1. Dezember 2016 bis zum 30. November 2017 auf einen Tagesbetrag von 16,94 €, statt, wie begehrt, auf 19,06 € festgesetzt worden ist.

Die Klägerin, die ihren Sitz in Berlin hat, betreibt die in L, M, einem Ort im Kreisgebiet des V gelegene, nicht öffentlich geförderte Pflegeeinrichtung K (im Folgenden: die Einrichtung). Diese verfügt über 86 Plätze für vollstationäre Pflege, sämtlich in Einzelzimmern. Es besteht ein Versorgungsvertrag gemäß § 72 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) für stationäre Pflege, der im Einvernehmen mit dem Beklagten geschlossen wurde. Die Einrichtung hat am 14. Oktober 2016 ihren Betrieb aufgenommen. Die Klägerin hatte und hat das Grundstück nebst Gebäude, das in Teileigentumseinheiten nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilt worden ist, von den jeweiligen Eigentümern, diese vertreten durch die BS GmbH, gepachtet. Die Nettogrundfläche des Gebäudes beträgt ca. 4.382,43 m², also 51 m² pro Platz. Die vereinbarte Kaltpacht für alle Teileigentumseinheiten einschließlich des Gemeinschaftseigentums des Pflegeheimes betrug im hier interessierenden Zeitraum laut dem Pachtvertrag jährlich 554.661,30 €.

Mit Schreiben vom 7. September 2016 forderte die Klägerin den Beklagten zur Verhandlung von gesondert berechenbaren Investitionskosten auf. Der Tagesbetrag der gesondert berechenbaren Aufwendungen belaufe sich auf 21,11 €.

Mit Schreiben vom 5. Oktober 2016 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er nach den „Grundlagen zur Bemessung gesondert berechenbarer Investitionsaufwendungen nach § 75 (5) SGB XII in Verbindung mit § 82 SGB XI für neue und bestehende Einrichtungen“ der Hessischen Arbeitsgemeinschaft Investitionsaufwendungen (AG Invest, im Folgenden: Grundlagen AG Invest), gültig ab 1. Oktober 2015, eine entsprechende Vergleichsberechnung erstellt habe. Hierbei seien die Maximalbeträge pro Platz für eine neue Einrichtung sowie die aktuellen Zinssätze berücksichtigt worden. Nach den Grundlagen AG Invest dürfe bei gemieteten/gepachteten Einrichtungen der Tagessatz für die gesondert berechenbaren Investitionsaufwendungen nicht höher sein als 97 % der maximal möglichen Aufwendungen. Von der Kürzung habe er das Inventar und die Instandhaltungskosten ausgeklammert, da für den Pächter eine Beteiligungs- und Beseitigungspflicht bestünde. Zur Verzinsung des Fremdkapitals sei der Zinssatz nach dem von der KFW [Kreditanstalt für Wiederaufbau]-Bankengruppe veröffentlichten Wert des KFW-Programms 148 - Investitionskredit Kommunale und Soziale Unternehmen, 20/3/20, Preisklasse C, vom 1. September 2016 i.H.v. 2,47 % der Berechnung zugrunde gelegt worden. Unter Berücksichtigung einer Auslastung von 98 % ergebe sich somit ein maximaler Investitionskostensatz pro Tag von 16,54 €. Auf dieser Basis sei der Beklagte bereit, die entsprechende Vergütungsvereinbarung abzuschließen. Der Beklagte übersandte das Angebot vorab per E-Mail an die Klägerin, um bis zur Eröffnung der Einrichtung am 14. Oktober 2016 zu einem Abschluss kommen zu können.

Mit einfacher, nicht elektronisch zertifizierter und nicht mit einer handschriftlichen Unterschrift versehenen ...

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