Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. sozialgerichtliches Verfahren. Auslegung des Klagebegehrens. GdB von "mindestens 20". Teilanerkenntnis eines GdB von 20. verbleibende Beschwer. Erweiterung des Klageantrags
Orientierungssatz
1. Eine auf Feststellung eines GdB von "mindestens 20" gerichtete Klage ist nicht auf einen GdB von nur 20 beschränkt, wenn die Klagebegründung auf eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs 3 SGB 9 abstellt und insoweit den nach oben offenen Klageantrag auf die Feststellung eines GdB von 30 konkretisiert (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 28.1.2016 - L 11 SB 254/15).
2. Gibt die Sozialverwaltung in diesem Fall ein Teilanerkenntnis für einen GdB von 20 ab, ist das Klagebegehren nicht mangels verbleibender Beschwer erledigt (entgegen BSG vom 9.8.1995 - 9 RVs 7/94 = SozR 3-1930 § 116 Nr 7).
3. Ohnehin ist eine Erweiterung eines Klageantrags in der Hauptsache (hier konkludent in einem Schriftsatz und ausdrücklich in der Berufungsschrift) ohne Änderung des Klagegrundes gemäß § 99 Abs 3 Nr 2 SGG ohne Weiteres möglich (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 6.11.2014 - L 11 SB 178/10).
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. Januar 2016 aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht Berlin zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 30.
Die 1959 geborene Klägerin wandte sich am 5. September 2013 mit dem dafür vorgesehenen behördlichen Vordruck an den Beklagten und beantragte unter Hinweis insbesondere auf Sprunggelenksbeschwerden nach bimalleolärer Sprunggelenksfraktur links mit Beteiligung des hinteren Kantendreiecks, ihren GdB festzustellen. Nach medizinischen Ermittlungen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29. November 2013 die Feststellung eines GdB mit der Begründung ab, bei der Klägerin sei kein GdB von wenigstens 20 festzustellen. Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein, den sie eingehend begründete und mit dem sie beantragte, “den angefochtenen Bescheid aufzuheben, zu ändern und erneut über die Höhe des Grades (sprich 40%) der Behinderung/ die Feststellung eines Merkzeichens zu entscheiden„. Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 6. März 2014 zurück.
Hiergegen hat die nunmehr anwaltlich vertretene Klägerin am 21. März 2014 Klage erhoben mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, bei ihr einen GdB von “mindestens 20„ festzustellen. Eingangs der Klagebegründung heißt es, die Klägerin vertrete die Auffassung, dass bei ihr ein GdB von 30 vorliege und sie aus diesem Grund einen Anspruch habe, sich einem schwerbehinderten Menschen gleichstellen zu lassen. Die Klagebegründung schließt mit der Einschätzung, “aus diesem Grund wäre bei der Klägerin aufgrund der Trümmerbrüche im unteren Sprunggelenk und der darauf beruhenden Bewegungsbeeinträchtigung zuzüglich der erheblichen Schmerzen ein BGB von 30 festzustellen„.
Nach Einholung eines Befundberichts und Übersendung an den Beklagten durch das Sozialgericht hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2014 ein Teilanerkenntnis abgegeben, wonach der GdB ab September 2013 mit 20 festzustellen sei. Soweit das Begehren darüber hinaus gehe, werde beantragt, die Klage abzuweisen. Das Teilanerkenntnis hat die Klägerin nicht angenommen und erklärt, der Rechtsstreit habe sich nicht erledigt.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 4. Januar 2016 abgewiesen und weiter entschieden, der Beklagte trage die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Klage sei unzulässig. Es fehle ihr nach Anerkennung des begehrten Mindest-GdB von 20 am Rechtsschutzbedürfnis. Die Klägerin habe (nur) einen GdB von mindestens 20 begehrt und sei dabei auch nach dem Teilanerkenntnis des Beklagten geblieben. Eine Erweiterung oder Änderung ihres Klageantrages habe sie nicht vorgenommen, auch habe sie ihn nicht im Hinblick auf einen möglichen Widerspruch zur Klagebegründung korrigiert. Durch die Anerkennung des begehrten Mindest-GdB sei der Klageanspruch erfüllt und ein Wegfall der Beschwer eingetreten.
Gegen diesen ihr am 8. Januar 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 15. Januar 2016 Berufung eingelegt und ihr bisheriges Vorbringen weiter vertieft. Das Sozialgericht habe die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Festzustellen sei ein GdB von 30.
Unter dem 11. Januar 2016 hat der Beklagte einen “Ausführungsbescheid„ erlassen, mit dem er den GdB mit Wirkung ab dem 5. September 2013 mit 20 festgestellt hat.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. Januar 2016 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 29. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2014 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 11. Januar 2016 zu verurteilen, den Gra...