Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verfahren: Verrechnung von Ansprüchen eines Sozialversicherungsträgers mit laufenden Versicherungsleistungen. Zulässigkeit der Verrechnung einer Forderung mit einer Rentennachzahlung. Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit eines Verrechnungsbescheides
Orientierungssatz
1. Ein Verrechnungsbescheid eines Sozialleistungsträgers ist jedenfalls dann hinreichend bestimmt, wenn sich aus dem Verfügungssatz erkennen lässt, welche konkrete Forderung der Sozialleistungsträger zur Verrechnung verfügt und mit welcher Sozialleistung die Verrechnung erfolgt. Dabei kann die Forderung kumuliert sein und alle Teilforderungen einschließlich Nebenforderungen in einer Summe ausweisen. Eine detaillierte Aufschlüsselung ist nicht geboten.
2. Die Verrechnung einer bestehenden Beitragsforderung aus Sozialversicherung (hier: nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge) mit einer Rentennachzahlung ist jedenfalls dann zulässig, wenn und soweit der laufende Lebensunterhalt auch ohne die Beträge aus der Rentennachzahlung durch die laufenden Leistungen gesichert ist.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juni 2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung einer Rentennachzahlung für die Zeit vom 1. April 2006 bis 31. Juli 2006.
Mit Schreiben vom 19. Januar 2005 stellte die AOK B (Beigeladene) bei der Beklagten ein vorsorgliches Verrechnungsersuchen aus einem Versäumnisurteil vom 09. Dezember 2004 iHv 3.747,30 EUR nebst 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 04. Juni 2004 sowie aus einem Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 05. Januar 2005 über Kosten iHv 317,13 EUR zuzüglich 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 30. Dezember 2004.
Mit Bescheid vom 07. Juni 2006 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Regelaltersrente iHv monatlich 543,57 EUR ab dem 01. April 2006. Für die Zeit vom 1. April 2006 bis 31. Juli 2006 betrug die Nachzahlung 2.174,28 EUR.
Mit Schreiben vom 31. Mai 2006 forderte die Beklagte die Beigeladene auf, mitzuteilen, ob und in welcher Höhe die Forderung noch bestehe und in welchem Umfang eventuell weitere Nebenkosten angefallen seien.
Daraufhin teilte die Beigeladene mit Schriftsatz vom 08. Juni 2006 mit, dass eine Beitragsforderung aus nicht abgeführten Arbeitnehmerbeitragsanteilen zur Sozialversicherung für die Zeit von August 2002 bis März 2003 iHv 3.747,30 EUR bestehe, die durch das Versäumnisurteil vom 09. Dezember 2004 rechtskräftig festgestellt sei, sowie eine Kostenforderung iHv 332,13 EUR, die sich aus 117,13 EUR Kosten zuzüglich Zinsen zusammensetze und durch rechtskräftigen Beschluss festgestellt sei.
Mit Schreiben vom 15. Juni 2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Beigeladene habe sie ermächtigt, eine einziehbare und nicht verjährte Forderung iHv 3.747,30 EUR (ggf. zzgl. weiterer Zinsen, Säumniszuschläge) nach § 52 iVm § 51 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) mit dem Anspruch auf die Rentennachzahlung zu verrechnen. Laufende Geldleistungen des Rentenversicherungsträgers könnten nach § 51 Abs. 2 SGB I bis zu deren Hälfte verrechnet werden, soweit es sich bei den Ansprüchen gegen den Berechtigten um zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen oder Beitragsansprüche handele. Es sei beabsichtigt, einen Betrag iHv 1.087,- EUR aus der Nachzahlung einzubehalten.
Die Klägerin machte mit Schriftsatz vom 27. Juni 2006 geltend, sie würde durch die Auf- bzw Verrechnung hilfebedürftig werden. Zum Nachweis hierfür reichte sie eine beglaubigte Kopie einer Bescheinigung des Bezirksamtes Ch-W von B vom 12. April 2006 ein, aus der hervorgeht, dass die Klägerin einen sozialhilferechtlichen Anspruch iHv 981,75 EUR gehabt hätte.
Die Klägerin stand seit dem 1. April 2006 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, aus dem sie Nettobezüge iHv monatlich 431,69 EUR erzielte.
Mit Bescheid vom 1. November 2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie die einbehaltene Nachzahlung iHv 1.087,28 EUR mit den der Beigeladenen geschuldeten Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung iHv 4.079,43 EUR (gegebenenfalls einschließlich Nebenforderungen) verrechne. Die Verrechnung sei möglich, da Rentennachzahlungen zu den laufenden Geldleistungen im Sinne der §§ 51, 52 SGB I gehörten. Für den Nachzahlungszeitraum der laufenden Rentenleistung brauche die Hilfebedürftigkeit iS der Vorschriften des Sozialgesetzbuches - Sozialhilfe - (SGB XII) über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) nicht geprüft zu werden, da diese nicht rückwirkend eintreten könne.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. September 2007 zurück und führte im Wesentlichen aus, die Verrechnung der Nachzahlung zu Gunsten der Forderung der Beigeladenen könne nicht im Nachhinein zu einer Sozialhilfebe...