Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Beantragung einer Krankenhausbehandlung unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung. Ablehnungsentscheidung der Krankenkasse. ambulante Durchführung der Operation ≪hier Mastektomie≫ während Gerichtsverfahren. kein Kostenerstattungsanspruch. keine unmittelbaren Ansprüche aus § 5 SGB 1. Leistungspflicht bei Kassenwechsel

 

Leitsatz (amtlich)

Beantragt ein Versicherter bei seiner Krankenkasse unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung von Krankenhausbehandlung die Versorgung mit einer Operation, bezieht sich die Ablehnungsentscheidung der Krankenkasse im Regelfall auf die stationäre Erbringung dieser Operation. Lässt der Versicherte während des Gerichtsverfahrens diese Operation ambulant durchführen, liegt auch dann ein Aliud vor, wenn diese Behandlung im Krankenhaus erfolgte. Ein Kostenerstattungsanspruch ist in diesem Fall ausgeschlossen.

 

Orientierungssatz

1. Aus der Vorschrift des § 5 SGB 1 lassen sich nicht unmittelbar Ansprüche ableiten; diese ergeben sich vielmehr aus den (u.a. in § 68 SGB 1 aufgeführten) besonderen Teilen des Sozialgesetzbuches.

2. Ein Kassenwechsel führt nicht zum Ende der Leistungspflicht der alten Krankenkasse, wenn der Leistungsanspruch des Versicherten schon vor dem Kassenwechsel bestanden, die frühere Krankenkasse den geltend gemachten Versorgungsanspruch deshalb zu Unrecht abgelehnt hat und sich mit der Leistungserbringung im Zeitpunkt des Kassenwechsels in Verzug befindet. In solchen Fällen bleibt die frühere Krankenkasse weiterhin leistungspflichtig, weil sie es sonst in der Hand hätte, sich durch Leistungsverzögerung ihrer Verpflichtung zu entledigen (vgl BSG vom 23.1.2003 - B 3 KR 7/02 R = BSGE 90, 220 = SozR 4-2500 § 33 Nr 1).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. Mai 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Kostenerstattung für eine ambulant durchgeführte Mastektomie.

Der Kläger, der seit der Rechtskraft des Beschlusses des Amtsgerichts Schöneberg vom 16. September 2003 (AZ: 70 III 239/01) nicht mehr den Vornamen S, sondern die Vornamen M P führt, beantragte am 15. Juli 2002 bei der Beklagten die Durchführung einer Mastektomie beidseits bei bestehendem Transsexualismus. Beigefügt hatte er eine vom Frauenarzt Dr. H V ausgestellte Verordnung von Krankenhausbehandlung vom 8. Juli 2002. Diese Behandlung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Oktober 2002 und Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2003 ab. Auch das Klageverfahren blieb ohne Erfolg (Gerichtsbescheid vom 4. Mai 2005, der Klägerseite zugestellt am 4. Juli 2005). Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, wegen der Weigerung des Klägers, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, habe nicht festgestellt werden können, dass bei dem Kläger tatsächlich Transsexualität vorliege und deshalb die gewünschte Operation medizinisch notwendig sei. Während des Verfahrens über die am 14. Juli 2005 eingelegte Berufung ließ der seit dem 1. Februar 2006 bei der Beigeladenen versicherte Kläger am 19. April 2006 eine beidseitige Mastektomie ambulant auf eigene Kosten durchführen.

Der Kläger bringt vor, die Transidentität sei seit dem 16. März 2004 durch § 116 b Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) als Krankheit anerkannt. Die mehrjährige gegengeschlechtliche Hormonbehandlung habe bei ihm zu einem hohen Krebsrisiko geführt. Es habe ein Notfall vorgelegen, da mehr als 30 % aller Transidenten suizidgefährdet seien. Sein Antrag habe sich von Anfang an auf eine stationäre oder ambulante Behandlung bezogen. Der angefochtene Bescheid vom 15. Oktober 2002 lehne diesen Antrag nicht nur bezüglich einer stationären Durchführung ab. Im Übrigen sei auch die ambulante Behandlung als Krankenhausbehandlung erfolgt. Der Begriff der Leistung in § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sei dahin auszulegen, dass er nur auf die inhaltliche Erbringung einer Behandlung verweise, nicht jedoch auf die Art die der Durchführung (stationär / ambulant).

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. Mai 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Mai 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die am 19. April 2006 ambulant durchgeführte beidseitige Mastektomie zu erstatten,

hilfsweise,

die Beigeladene zu verurteilen, die Kosten für die am 19. April 2006 ambulant durchgeführte beidseitige Mastektomie zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung der begehrten Leistung hätten nicht vorgelegen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Der Senat hat im Erörterungstermin vom 27. Januar 2006 die den Kläger behandelnde Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie/Fachärztin für Psychotherapie B als Zeugin vernommen; wegen der Zeug...

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