Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Anrechnung von Einkommen. Aufhebung einer Bewilligungsentscheidung wegen Nichtangabe von Einkommen. Anforderung an die Annahme eines grob fahrlässigen Verstoßes gegen die Mitteilungspflichten. Unterbrechung der Jahresfrist zur Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung durch einen ersten Aufhebungsbescheid
Orientierungssatz
1. Eine grobe Fahrlässigkeit der Nichtangabe von Einkommen eines Empfängers von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende bei der Antragstellung, die zu einer späteren Aufhebung der Bewilligungsentscheidung führt, ist jedenfalls dann nicht anzunehmen, wenn der Antragsteller aus Anlass eines Beratungsgesprächs sämtliche einkommensrelevanten Unterlagen vorlegte und das später nicht berücksichtigte Einkommen aus den vorgelegten Unterlagen für den Grundsicherungsträger erkennbar war (hier: Verrechnung von Verletztenrente in einem Arbeitslosenhilfebescheid).
2. Die Jahresfrist zur Aufhebung einer rechtswidrigen Bewilligung von Sozialleistungen ab Kenntnis des Aufhebungsgrundes wird nicht durch Erlass eines (ersten) Aufhebungsbescheides unterbrochen. Wird der erste Bescheid später durch einen anderen Bescheid ersetzt, ist dieser nur rechtmäßig, wenn er auch innerhalb der Jahresfrist bekanntgegeben wurde.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. August 2016 aufgehoben.
Der Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2008 wird aufgehoben.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im gesamten Verfahren zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. September 2005 und eine entsprechende Erstattungsforderung des Beklagten in Höhe von noch 1.322,46 €.
Der 1955 geborene, seinerzeit erwerbsfähige und mit seiner Ehefrau in einem gemeinsamen Haushalt lebende Kläger bezog bis zum 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe (AlHi, Bescheid des Arbeitsamtes F vom 1. Juni 2004). Auf den wöchentlichen Leistungssatz in Höhe von 148,68 € wurde ausweislich des Bescheides ein monatliches Einkommen in Höhe von 87,78 € angerechnet. Der Kläger bezog jedenfalls seit 2003 eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung der Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel, die dem Kläger seit Juli 2003 in Höhe von monatlich 358,61 € ausgezahlt wurde (Rentenanpassung vom 23. Juni 2003).
Der Kläger beantragte beim Beklagten am 12. Oktober 2004 für sich und seine Ehefrau Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose (Alg II) und wies unter Vorlage des letzten Änderungsbescheides auf den Bezug von ergänzender Anschluss-AlHi hin; über weiteres Einkommen verfüge er ausweislich des zusammen mit dem Sachbearbeiter des Beklagten ausgefüllten und vom Kläger eigenhändig unterschriebenen Zusatzblattes 2 (Einkommenserklärung/Verdienstbescheinigung) nicht. Seine Ehefrau beziehe eine Erwerbsminderungsrente (Bescheid der BfA vom 24. Mai 2004). Er und seine Ehefrau verfügten über ein Sparbuch sowie jeweils über eine Kapitallebensversicherung (auf Blatt 11 bis 24 der Leistungsakten wird wegen dieser Angaben des Klägers Bezug genommen).
Der Beklagte bewilligte dem Kläger und seiner Ehefrau als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Alg II in Höhe von monatlich insgesamt 224,46 € vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 unter Berücksichtigung der Kosten für Unterkunft und Heizung (KdUH) in Höhe und unter Anrechnung von Einkommen ausschließlich der Ehefrau (Bescheid vom 1. Dezember 2004; Widerspruchsbescheid vom 8. August 2005, mit dem zugleich zwischenzeitliche Änderungsbescheide vom 23. Juni 2005 und 4. Juli 2005 aufgehoben wurden).
Mit seinem Fortzahlungsantrag vom 9. Juni 2005 gab der Kläger an, Änderungen u.a. in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen habe es in der Bedarfsgemeinschaft nicht gegeben. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 23. Juni 2005 Leistungen für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 und zahlte entsprechende Leistungen aus.
Mit Bescheid vom 4. April 2006 stellte der Beklagte dem Kläger gegenüber eine Überzahlung vom 1. Januar bis 30. Juni 2005 in Höhe von 592,54 € fest unter gleichzeitigem Verzicht auf die Erstattung.
Im Zuge eines Datenabgleichs erhielt der Beklagte im Dezember 2005 Kenntnis von der Rente des Klägers aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Nach Anhörung des Klägers mit einem Schreiben vom 27. März 2006 hob er mit einem ausschließlich an den Kläger gerichteten Bescheid vom 11. Mai 2006 (Widerspruchsbescheid vom 3. August 2006) für die Zeit ab 1. Januar 2005 die Entscheidung über die Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ganz auf und forderte die Erstattung von 1.790,76 €. Zugleich hob er die Entscheidung über den Verzicht auf eine Erstattung mit Bescheid vom 4. April 2006 auf. Hilfebedürftigkeit habe nicht vorgelegen. Der Kläger habe vorsätzlich unvollständige A...