Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung des einem Kind bzw. Jugendlichen zuerkannten Merkzeichens "H" mit Erreichen der Volljährigkeit
Orientierungssatz
1. § 48 SGB 10 ist auch dann anzuwenden, wenn sich nachträglich Tatsachen ändern, auf die der Bewilligungsbescheid zu Unrecht gestützt worden ist, die also für die Behörde zu Unrecht maßgebend waren. Der Wegfall von Tatsachen, die nach dem fehlerhaften Maßstab wesentlich sind und deren Bedeutung für die Entscheidung in einem objektiven Sinn erkennbar ist, bewirkt eine wesentliche Änderung i. S. von § 48 SGB 10 (BSG Urteil vom 12. 11. 1996, 9 RVs 18/94).
2. Die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht von 2005 (AHP) sahen bei Kindern und Jugendlichen bei Vorliegen besonderer Behinderungen die Anerkennung des Merkzeichens "H" vor. Nach der Entscheidung des BSG vom 12. 11. 1996 führte infolgedessen das Erreichen der Volljährigkeit zum Eintritt einer wesentlichen Änderung i. S. von § 48 SGB 10.
3. Mit Erreichen der Volljährigkeit ist damit nach § 69 Abs. 4 SGB 9 i. V. m. § 33b Abs. 6 S. 3 EStG für die weitere Zuerkennung des Merkzeichens die Hilflosigkeit des Betroffenen Voraussetzung. Danach ist eine Person dann hilflos, wenn sie infolge von Gesundheitsstörungen für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf.
4. Bei der Beurteilung der Erheblichkeit des Hilfebedarfs sind auch der wirtschaftliche Wert der Leistung und die körperliche und psychische Belastung der Pflegeperson zu berücksichtigen. Bei einem täglichen Zeitaufwand für fremde Hilfe zwischen einer und zwei Stunden ist Hilflosigkeit dann anzunehmen, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege besonders hoch ist.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 7. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil bleibt hiervon unberührt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung des Merkzeichens „H“ (Hilflosigkeit).
Zugunsten der 1991 geborenen Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 28. Februar 2006 einen Grad der Behinderung (GdB) von insgesamt 80 wegen einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung im Kindesalter, einer kognitiven Teilleistungsschwäche und einer Lernbehinderung (Einzel-GdB 80) sowie wegen muskulärer Verspannungen - Muskelreizerscheinungen der Wirbelsäule - (Einzel-GdB 10) fest. Ferner stellte er das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „B“ (Notwendigkeit ständiger Begleitung), „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und „H“ fest. In der Begründung des Bescheides kündigte er für Februar 2008 eine Nachprüfung der Feststellungen zur Entwicklungsverzögerung sowie zu den Voraussetzungen der Merkzeichen an.
Im Zuge des Nachprüfungsverfahrens teilte der Beklagte mit Schreiben vom 26. November 2008 mit, dass in den gesundheitlichen Verhältnissen, die für die Feststellungen im Bescheid vom 28. Februar 2006 maßgeblich gewesen seien, keine wesentliche Änderungen eingetreten seien und es bei den Feststellungen aus dem Bescheid vom 28. Februar 2006 verbleibe. Er befristete die Gültigkeit des der Klägerin ausgestellten Ausweises bis September 2009.
Im Auftrag des Amtsgerichts N erstellte der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H am 11. Dezember 2008 nach persönlicher Untersuchung der Klägerin ein Betreuungsgutachten. Darin stellte er bei der Klägerin eine dauerhafte geistige Behinderung aufgrund einer angeborenen Intelligenzminderung im Grad einer Debilität fest. Er schlussfolgerte, dass die Klägerin infolge der geistigen Behinderung ihre Angelegenheiten nicht eigenständig besorgen könne, zu einer selbständigen Lebensführung nicht in der Lage und daher geschäftsunfähig sei. Er empfahl die Betreuung in den Bereichen Sorge für die Gesundheit, Vertretung vor Ämtern, Behörden, Leistungsträgern und Gerichten sowie für die Vermögenssorge. Mit Beschluss des Amtsgerichts N vom 24. Februar 2009 wurde die Mutter der Klägerin zur Betreuerin für die vom Gutachter empfohlenen Bereiche bestellt. Auch der Vater wurde zum Betreuer der Klägerin bestellt. Für die Gewährung von Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) wurde bei der Klägerin ein Pflegebedarf der Pflegestufe I anerkannt.
Der Beklagte leitete im April 2009 ein Nachprüfungsverfahren von Amts wegen ein und holte im August 2009 eine versorgungsmedizinische Stellungnahme ein. Der Versorgungsarzt Dr. S kam zu der Einschätzung, die Klägerin sei mit Erreichen des 18. Lebensjahres soweit gefördert, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ nicht mehr gegeben seien. Eine Verhaltensstörung liege nicht vor, es bestehe ein GdB von insgesamt 70 (geistige Behinderu...