Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Angemessenheit der Unterkunftskosten. Berliner Mietspiegel 2007. Angemessenheitsgrenze für 1-Personen-Haushalt in Berlin
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer Absenkung der zu übernehmenden Kosten für Unterkunft und Heizung von den tatsächlichen auf die angemessenen Kosten nach § 22 Abs 1 SGB 2 ist einerseits davon auszugehen, dass einem Leistungsbezieher jede Wohnung mit üblichem Standard zuzumuten ist, unabhängig vom Baujahr. Als angemessen kann andererseits nur die Miete derjenigen Wohnungen herangezogen werden, für welche der konkrete Antragsteller wirklich einen Mietvertrag abschließen könnte.
2. Solange der Leistungsträger dem Leistungsempfänger keine konkrete Mietvertragsabschlussmöglichkeit aufzeigt, muss deshalb bei der Anwendung des Berliner Mietspiegels 2007 der Unterschied zwischen den Mieten aller in den Mietspiegel eingeflossenen Mietverhältnisse und der Mieten für diejenigen Wohnungen, die auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden und die auch der Leistungsempfänger realistischerweise anmieten könnte, berücksichtigt werden. Es ist deshalb geboten, den Spannenoberwert der Kaltmiete anstelle des Mittelwertes für die Kaltmiete der Vergleichskostenberechnung zu Grunde zu legen.
3. In Berlin sind bei einem Einpersonenhaushalt Unterkunftskosten jedenfalls für Bewilligungszeiträume zwischen November 2006 und April 2007 in Höhe von 422,- Euro einschließlich Warmwasser- und Kochenergiekosten (dh Kosten nach § 22 Abs 1 SGB 2 in Höhe von 416,28 Euro) noch angemessen, solange der Leistungsträger dem/den Leistungsempfänger nicht eine ganz konkrete Mietvertragsabschlussmöglichkeit mit günstigerer Miete nachweist.
Orientierungssatz
Das Alter eines Arbeitsuchenden und der Umstand, dass dieser bereits über 45 Jahre in derselben Mietwohnung lebt, sind keine Kriterien, aus welchen eine Unzumutbarkeit hergeleitet werden kann, für die gebotene Senkung der Unterkunftskosten, notfalls durch einen Umzug in eine günstigere Wohnung.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Mai 2007 wird abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II für den Zeitraum November 2006 bis April 2007 in Höhe von 416,28 Euro monatlich zu bewilligen und zu gewähren. Im Übrigen werden die Klage und die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht, in welchem Umfang der Beklagte dem Kläger Leistungen für Unterkunft und Heizung gem. § 22 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum November 2006 bis April 2007 zu gewähren hat.
Der im Oktober 1950 geborene erwerbsfähige Kläger ist ledig und bewohnt sei 1959 - zunächst als Kind mit der Familie, inzwischen alleine - eine 2 2/2-Zimmerwohnung mit einer Wohnfläche von knapp 75 m², für die er eine Brutto-Warmmiete von monatlich 515,87 Euro im streitgegenständlichen Zeitraum zu zahlen hatte (ohne Autostellplatz-Miete). Er ist promovierter Politikwissenschaftler. Das JobCenter bewilligte ihm für die Zeit ab 21. April 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 26. April 2006 teilte es dem Kläger mit, die Kosten der Unterkunft für nicht angemessen zu halten. Es sei bereit, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft solange zu übernehmen, wie es diesem nicht möglich sei, durch einen Wohnungswechsel oder durch Untervermietung bzw. Erwirkung einer Mietreduktion die Kosten der Unterkunft zu senken. Diese Zusage gelte nicht länger als sechs Monate nach Zugang.
Mit Schreiben vom 5. Oktober 2006 machte der Kläger geltend, die Wohnung seit 1959 zu bewohnen und in ihr sein umfassendes politisches Archiv - basierend auf seiner 20-jährigen Tätigkeit als F -, sein umfangreiches S.archiv und weitere Archivalien und Bücher zum Themenbereich “M„ sowie weitere politische Literatur aufzubewahren. Er sei als einziger wissenschaftlicher Experte für das B international anerkannt. Für seine Tätigkeit im Interesse einer Weiterbildung des F sei er auf seine Archive und Archivalien angewiesen. Bei einem Umzug in eine kleinere Wohnung müsste er sich von diesen Beständen trennen. Ohne sie wären ihm eine weitere wissenschaftliche Tätigung und damit auch eine für 2007 geplante Buchveröffentlichung verwehrt. Seine Chancen auf den Arbeitsmarkt beruhten auf seiner weiteren wissenschaftlichen Betätigung.
Mit Bescheid vom 12. Oktober 2006 bewilligte der Beklagte ihm Leistungen für die Kosten der Unterkunft für den Zeitraum November 2006 bis April 2007 nur noch in Höhe von einer 396,- Euro. Es legte dabei den Grundwert für einen Einpersonenhaushalt von 360,- Euro nach den Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz des Landes Berlin (für den hier streitgegenständlichen Zeitraum...