Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung. rückwirkender Erstattungsanspruch auf Grundlage einer Entscheidung des Bundessozialgerichts zu Kodierungsfragen. Einwand unzulässiger Rechtsausübung. langjährige Verwaltungspraxis
Leitsatz (amtlich)
Einem Erstattungsanspruch einer Krankenkasse aus Anlass einer Krankenhausvergütung kann der Einwand unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegenstehen, wenn die Vergütung langjähriger Verwaltungspraxis entsprach und erst auf der Grundlage einer Entscheidung des Bundessozialgerichts zu Kodierungsfragen rückwirkend für Zeiten vor der Entscheidung Erstattungsansprüche begründet werden.
Orientierungssatz
1. Die frühgeriatrische rehabilitative Komplexbehandlung (Nr 8-550.1 OPS 2010) setzt mit dem Begriff der „Geriatrie“ voraus, dass die behandelte Patientin zwingend das 60. Lebensjahr vollendet haben muss (vgl BSG vom 23.6.2015 - B 1 KR 21/14 R = SozR 4-2500 § 109 Nr 46 RdNr 17ff, insbesondere RdNr 20).
2. OPS (2010) Nr 8-550 unterscheidet sich von den anderen Prozeduren mit Dokumentationspflicht dadurch, dass sie als einziger vierstelliger OPS-Kode ausdrücklich die Beteiligung aller Berufsgruppen anordnet. Die Team-Abstimmung muss aus der Dokumentation als qualifizierter konkreter Handlungsanleitung klar ersichtlich hervorgehen. Der OPS fordert bei etlichen Komplexbehandlungen nach seinem Regelungssystem eine wochenbezogene Dokumentation, wenn sich die Komplexität (auch) aus der Unterschiedlichkeit der Therapiebereiche ergibt und deswegen ein erhöhter Abstimmungsbedarf besteht (zum Ganzen: BSG vom 19.12.2017 - B 1 KR 19/17 R = BSGE 125, 91= SozR 4-1500 § 120 Nr 3, RdNr 34-36).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 25. September 2017 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.
Die Klägerin ist Trägerin der Klinik H, einem in den Krankenhausplan des Landes Brandenburg aufgenommenen Krankenhauses der Regelversorgung, u.a. mit einer Abteilung der Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie einer Gemeinschaftsstation Geriatrie-Gerontopsychiatrie. Die Abteilung für Neurologie ist u.a. auf die Behandlung des Schlaganfalls spezialisiert. Zu ihr gehört eine zertifizierte Spezialabteilung für Schlaganfall-Patienten (Stroke Unit).
Die Klinik H behandelte in der Zeit vom 31. Januar 2010 bis zum 22. Februar 2010 die bei der Beklagten Versicherte B A (geboren 1950). Diese hatte einen Insult (Schlaganfall) erlitten und wurde zunächst am 31. Januar 2010 in der neurologischen Abteilung behandelt (Aufnahmediagnose: Mediainfarkt rechts mit Hemiparese links). Am 5. Februar 2010 wurde sie auf die geriatrische Abteilung zur weiteren Mobilisierung und zur geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung verlegt.
Mit Rechnung vom 1. März 2010 berechnete die Klägerin die DRG B44A gemäß dem G-DRG-Fallpauschalenkatalog 2010 (Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung bei Krankheiten und Störungen des Nervensystems mit schwerer motorischer Funktionseinschränkung, mit neurologischer Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls) und kodierte OPS - Operationen- und Prozedurenschlüssel (2010) - 8-550.1, d.h., Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung - Mindestens 14 Behandlungstage und 20 Therapieeinheiten und einen Gesamtrechnungsbetrag in Höhe von 10.875,71 Euro.
Die Beklagte veranlasste eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung e.V. (MDK) u.a. zu der Frage, ob die DRG und die übermittelten OPS zutreffen und ob der Inhalt der Leistung erbracht worden ist. Der MDK kam zum Ergebnis, zutreffend sei die DRG B70D ( = Apoplexie ohne komplexen zerebrovask. Vasospasmus, ohne komplizierende Diagnose oder systemische Thrombolyse, mit neurol. Komplexbeh. des akuten Schlaganfalls bis 72 Std. oder mit anderer neurol. Komplexbeh. des akuten Schlaganfalls bis 27 Std., MDK-Gutachten vom 20. Dezember 2010). Auf den Einspruch der Klinik erstellte der MDK am 23. Juni 2011 ein weiteres Gutachten nach Aktenlage. Dieses kam zum Ergebnis, dass der Beginn der geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung bereits ab dem 5. Februar plausibel sei. Die Mindestkriterien des OPS-Kodes 8-550.1 könnten bestätigt werden.
Die Beklagte überwies, beruhend auf dem Votum des MDK, den Rechnungsbetrag am 15. Juli 2011 und auch die von der Klägerin in Rechnung gestellte Aufwandspauschale (§ 275c Abs. 1 SGB V).
Unter Berufung auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. Juni 2015 (B 1 KR 21/14 R) forderte die Beklagte am 22. September 2015 von der Klägerin die Kosten für den OPS-Kode 8.550 aus der Behandlung der Versicherten A in Höhe von 5.548,52 Euro zurück. Die Versicherte habe zum Zeitpunkt der Beh...