Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfe. Vermögen. Treuhandverhältnis. Beweislastumkehr. Anschlussberufung
Orientierungssatz
1. Vermögen im Sinne der AlhiV 1974 und 2002 ist die Gesamtheit der dem Vermögensträger gehörenden Sachen und Rechte in Geld oder Geldeswert einschließlich der Ansprüche aus Sparguthaben. Kein Vermögen stellen jedoch Ansprüche dar, die den Arbeitslosen zwar formal gegenüber dem Schuldner berechtigen, aber zugleich mit einer zivilrechtlichen Herausgabeverpflichtung gegenüber einem Dritten belegt sind.
2. Hat der Kläger die Aufklärung seiner Vermögenssituation selbst erschwert, indem er zeitnah keine Angaben zum Vermögen gemacht hat und hat er keinerlei Unterlagen vorgelegt, die seine Angaben untermauern könnten, treffen ihn die Folgen der Beweislast.
3. Hat der Kläger die in den Leistungsanträgen eindeutigen und unmissverständlichen Fragen nach Vermögen nicht beantwortet, obwohl er nach seinem eigenen Vortrag über Vermögenswerte verfügte, die ihm selbst zuzurechnen sind, nämlich über eine Geldanlage, die sich nicht nur aus seiner Abfindung, sondern aus weiteren Ersparnissen zusammensetzte, hat er grob fahrlässig gehandelt.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juni 2007 wird zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung der Beklagten vom 27. Januar 2011 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Verfahren vor dem Landessozialgericht nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Aufhebung von Leistungsbewilligungen und die Rückforderung von Leistungen sowie Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Der Kläger ist 1961 in der Türkei geboren worden, seit 1974 lebt er in Deutschland. Er ist seit 1985 verheiratet. Nach dem Ende eines seit 1983 bestehenden Beschäftigungsverhältnisses meldete er sich ab 3. November 1992 arbeitslos und bezog antragsgemäß Arbeitslosengeld bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 1. November 1993. Aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte der Kläger eine Abfindung von 15.000,-- DM erhalten. In den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses hatte er Entgelte zwischen ca. 2.700,-- und 3.500,-- DM erzielt.
Ab 2. November 1993 bezog der Kläger antragsgemäß Arbeitslosenhilfe nach einem Bemessungsentgelt von anfangs 770,-- DM. In den Leistungsanträgen - genannt wird im Folgenden jeweils das Datum der Unterschrift des Klägers, falls nicht vorhanden das Eingangsdatum bei der Beklagten - vom 15. Oktober/8. November 1993 (für den am 2. November 1993 beginnenden Bewilligungszeitraum), 16. August 1994 (Wiederbewilligung nach genehmigter Ortsabwesenheit und anschließender Säumniszeit), 2. September 1994 (für den am 1. Oktober 1994 beginnenden Bewilligungsabschnitt), 18. September 1995 (für den am 2. Oktober 1995 beginnenden Bewilligungsabschnitt), ohne Datum (für den am 1. Oktober 1996 beginnenden Bewilligungsabschnitt), 20. August 1997 (für den am 1. Oktober 1997 beginnenden Bewilligungsabschnitt), 16. September 1998 (Wiederbewilligung ab 16. September 1998 nach Zwischenbeschäftigung), 1. April 1999 (Wiederbewilligung nach nicht erneuerter Arbeitslosmeldung ab 1. April 1999 - zwischenzeitlich geringfügige Beschäftigung bei der BSR), 10. August 1999 (für den am 1. Oktober 1999 beginnenden Bewilligungsabschnitt), 17. Juli 2000 (Wiederbewilligung ab 14. Juli 2000 nach Zwischenbeschäftigung), 2. Dezember 2001 (Wiederbewilligung von Arbeitslosenhilfe ab 12. Februar 2001 nach zwischenzeitlichem Bezug von Unterhaltsgeld und Anschluss-Unterhaltsgeld) 25. Februar 2002 (für den am 1. Juli 2002 beginnenden Bewilligungsabschnitt) und 20. Juni 2003 (für den am 1. Juli 2003 beginnenden Bewilligungsabschnitt) verneinte der Kläger jeweils die Fragen nach Vermögenswerten.
Mit Schreiben vom 10. Juli 2003, bei der Beklagten eingegangen am 21. Juli 2003, teilte das Finanzamt Wilmersdorf mit, dass der Kläger zumindest in den Kalenderjahren ab 1995 über Kapitalvermögen mit einem Vermögensstamm von ca. 275.000,-- DM verfügt habe, der nach Aktenlage zu Zinseinnahmen von 44.571,-- DM im Jahr 1995, 32,-- DM im Jahr 1996, 34.741,-- DM im Jahr 1997, 35.772,-- DM im Jahr 1999 und 2.046,-- DM im Jahr 2000 geführt habe.
Nachdem die Beklagte den Kläger aufgefordert hatte, sich hierzu zu äußern und ab dem 1. Juli 2003 zunächst die Leistungen eingestellt hatte, gab der Kläger mit Schreiben vom 7. August 2003 bekannt, dass er aus Kapitalvermögen Einkünfte versteuert habe. Hierzu reichte er Einkommensteuerbescheide betreffend die Jahre 1995 bis 2002 ein, aus denen sich die vom Finanzamt mitgeteilten Zahlen, darüber hinaus für das Jahr 2001 Einkünfte aus Kapitalvermögen von 2.732,-- DM und für das Jahr 2002 von 98,-- DM ergaben.
Im September 2003 zahlte die Beklagte dem Kläger die Leistungen für den Zeitraum ab 1. Juli 2003 nach, ab 15. September 2003 hob sie die Leistungsbewilligung wegen Arbeitsaufnahme (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme) auf. Mit Datum des 9. September 2003 reichte der Kläger...