Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Nachrangigkeit der Regelung des § 17 SGB 5 gegenüber den Vorschriften des Koordinationsrechts der Europäischen Union
Orientierungssatz
Die Regelung des § 17 SGB 5, wonach Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, die während einer Beschäftigung im Ausland erkranken, von ihrem Arbeitgeber die ihnen nach dem dritten Kapitel des SGB 5 zustehenden Leistungen erhalten, ist gegenüber den Vorschriften des Koordinationsrechts der Europäischen Union nachrangig.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juni 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Privatrechnungen für eine Krankenbehandlung in Österreich.
Die Klägerin ist bei der Beigeladenen versichert. Vom 12. Mai 2014 bis zum 22. August 2014 war sie befristet als Garderobiere von der Beklagten für die Produktion “Der Bergdoktor„ Staffel VIII eingestellt worden. Die Dreharbeiten fanden in Österreich statt, dort war auch der Arbeitsort der Klägerin. Die Klägerin begab sich am 11. Juni 2014, 12. Juni 2014, 20. Juni 2014 und 8. August 2014 bei dem Facharzt für innere Medizin Dr. M in Österreich in Behandlung wegen ihrer Schilddrüse. Für die privatärztlich abgerechnete Behandlung, eine von Dr. M veranlasste ergänzende Untersuchung im Labor von Dr. P und verordnete Medikamente wurden ihr insgesamt 1.029,31 € in Rechnung gestellt.
Für weitere Behandlungen/Medikamente in Österreich berechneten Dr. M und weitere Behandler / Apotheken der Klägerin insgesamt 549,88 €, die ihr aus einer von der Beklagten abgeschlossenen Versicherung erstattet wurden.
Mit Schreiben vom 17. September 2014 wandte sich die Klägerin an die Beigeladene, legte ihr die Rechnungen für ihre Privatbehandlung in Österreich über 1.029,31 € vor und beantragte die Erstattung. Die Beigeladene antwortete mit Schreiben vom 25. September 2014, dass die Beklagte während der Auslandstätigkeit der Klägerin verpflichtet gewesen sei, die Kosten für medizinisch notwendige Behandlungen zu übernehmen. Sie - die Beigeladene - werde der Beklagten anschließend den Betrag erstatten, den sie bei einer vergleichbaren vertraglichen Behandlung in Deutschland übernehmen würde.
Die Klägerin ließ entgegnen, dass ein Arbeitgeber nur dann zur Erstattung der Heilbehandlungskosten verpflichtet sei, wenn er seinen Arbeitnehmer zur Dienstleistung im Nicht-EU-Ausland abgestellt habe. Sie sei jedoch in Österreich und damit innerhalb der EU tätig geworden. Mit Schreiben vom 23. Juli 2015 wies die Beigeladene die Klägerin darauf hin, dass der Leistungsanspruch eines entsandten Arbeitnehmers in § 17 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) geregelt sei. Die Beklagte sei vorrangig leistungsverpflichtet.
Mit der bereits am 2. Februar 2015 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage begehrt die Klägerin unter Hinweis auf die Regelung in § 17 SGB V die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der von ihr für die Krankenbehandlung in Österreich aufgewandten 1.029,31 €.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 21. Juni 2016 abgewiesen. § 17 SGB V sei bei einer Erkrankung im europäischen Ausland nicht anwendbar. Die Anwendbarkeit der Vorschrift sei ausgeschlossen, wenn - wie hier - die Entsendung in ein Land erfolgt sei, mit dem ein Sozialversicherungsabkommen bestehe. § 17 SGB V gelte insbesondere nicht im Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten der EU und des EWR und der Schweiz. Hier sei das europarechtliche Koordinationsrecht maßgebend, dass den Arbeitnehmer hinreichend schütze. Es verstoße gegen das Übermaßverbot, den Arbeitgeber mit der Krankenfürsorge zu belasten, wenn der Arbeitnehmer bereits ein bestehendes nationales Krankenversicherungssystem aufgrund völkerrechtlicher Abkommen nutzen könne. Der Gesetzesbegründung lasse sich entnehmen, dass auch der Gesetzgeber vom Vorrang des über- und zwischenstaatlichen Rechts ausgehe. Auch das BSG (Urt. v. 28. September 2010 - B 1 KR 2/10 R) neige der Auffassung zu, dass § 17 SGB V nur im vertragslosen Ausland Anwendung finde. Eine Verurteilung der Beigeladenen in dem anhängigen Verfahren scheide aus, weil dies voraussetze, dass der gegen sie gerichtete Anspruch an die Stelle des ursprünglich gegen die Beklagte gerichteten Anspruchs trete. Eine solche Wechselbeziehung liege im Verhältnis zu Arbeitgeber und Krankenkasse aber nicht vor.
Gegen das ihr am 29. Juni 2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 14. Juli 2016 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung der Klägerin. Das Urteil des Sozialgerichts lasse die Besonderheiten des vorliegenden Sachverhalts außer Betracht. Sie - die Klägerin - sei akut krank gewesen. Die in ihrer European Health Insurance Card gespeicherten Daten seien bei dem aufgesuchten Arzt nicht auslesbar gewesen. Ihr sei deshalb nichts anderes übriggeblieben, als die Behandlung vornehmen zu lassen und das in Rech...