Entscheidungsstichwort (Thema)

Bemessung des GdB bei einer Krebserkrankung während der Dauer der Heilungsbewährung

 

Orientierungssatz

1. Während der Dauer einer Heilungsbewährung bei einer Krebserkrankung - sog. Bewährungszeit - ist die MdE höher zu bewerten als sie sich allein aus dem funktionellen Schaden ergibt.

2. Hierbei handelt es sich um ein pauschales Verfahren, in welchem der psychischen Ausnahmesituation umfassend Rechnung getragen wird. Die Ungewissheit spielt dabei eine wesentliche Rolle. Grundsätzlich beträgt die Dauer der Heilungsbewährung fünf Jahre.

3. Bei einer Entfernung von zwei oder mehr malignen Geschwülsten verschiedener Art ist die Prognose insgesamt ungünstiger als bei Entfernung nur einer malignen Geschwulst. Dementsprechend beträgt der GdB-Wert während der Dauer der Heilungsbewährung 100.

4. Das Gleiche gilt beim Auftreten von Spätrezidiven, aber nur dann, wenn diese Spätrezidive Bestandteil einer fortgeschrittenen Metastasierung sind und davon auszugehen ist, dass die Krebserkrankung sich im Endstadium befindet. Sind dagegen einzelne Rezidive vollständig entfernt worden, ohne dass erkennbar Metastasen im Körper verblieben sind, so ist auch ein GdB von 80 oder gar 100 nicht angemessen.

 

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Februar 2010 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 7. November 2013 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) im Streit.

Bei dem 1966 geborenen Kläger wurde erstmals 1988 ein malignes Melanom der Haut im Stadium pTBaN0M0 diagnostiziert und operativ entfernt. Nach zehnjähriger Rezidivfreiheit wurde bei dem Kläger Anfang 1999 eine Lymphknotenmetastase operativ entfernt; in derselben Operation wurden fünf weitere tumorfreie Lymphknoten entfernt.

Auf den Antrag des Klägers nach dem Schwerbehindertenrecht vom 29. Oktober 1999 zuerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 einen GdB von 80, legte hierbei eine "operierte chronische Haut- und Lymphknotenerkrankung" in Heilungsbewährung ihrer Entscheidung zugrunde und führte hierzu aus, nach Behandlung von Krankheiten, die zu erneutem Auftreten neigten, bzw. bei denen die Belastbarkeit noch nicht feststehe, werde eine Zeit der Heilungsbewährung abgewartet. In diesem Zeitraum werde der GdB aufgrund der Beeinträchtigung der gesamten Lebensführung höher angesetzt. Im Anschluss an die Zeit der Heilungsbewährung werde der GdB nur noch von dem verbliebenen Organ- oder Gliedmaßenschaden bzw. von der verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung bestimmt.

Nach einer weiteren Operation mit Entfernung einer Metastase an der Nebenniere im Januar 2000 stellte der Kläger einen formlosen Neufeststellungsantrag, der erfolglos blieb (bestandskräftiger Bescheid vom 20. März 2001).

Im Januar 2005 führte die Beklagte eine Nachprüfung von Amts wegen wegen Ablaufs der Heilungsbewährung durch. Nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte hörte sie den Kläger mit Schreiben vom 26. Mai 2005 zu einer beabsichtigten Aufhebung des Bescheides vom 9. Dezember 1999 an und hob mit Bescheid vom 5. September 2005 die in dem Bescheid vom 9. Dezember 1995 getroffenen Feststellungen über den GdB ab 12. September 2005 auf. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. September 2006).

In dem sich anschließenden Klagverfahren hat das Sozialgericht Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt, sowie auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines internistisch/ hämatologisch/onkologischen Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige Dt. Platz führte in seinem Gutachten vom 6. Juni 2008 im Wesentlichen aus, die zentrale Frage in der Beurteilung stelle die Rezidivgefahr der Erkrankung dar, denn die (damals geltenden) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) trügen keiner messbaren Funktionseinschränkung Rechnung, sondern (ausschließlich) der Tatsache, dass es sich um einen potentiell tödlichen Verlauf handele. Jedoch sei eine durchschnittliche Heilungsbewährung von 5 Jahren bei einer Reihe von Erkrankungen und einer Vielzahl von Einzelfällen unangemessen. Hätte der Kläger 1988 eine Schwerbehinderung beantragt, hätte er nach Auffassung des Gutachters einen GdB von 80 bei 5 Jahren Heilungsbewährung bekommen, bei einem Verschlimmerungsantrag im Januar 1999 einen GdB von 100 auf Dauer. Im Nachhinein sei daher ein GdB von 80 gerechtfertigt, dieser solle auf einen Zeitraum von 11 bis 15 Jahren gewährt werden.

Des Weiteren reichte der Kläger eine gutachterliche Stellungnahme der Ärztin und Diplompsychologin K. vom 19. August 2009 ein, aus welcher sich ergab, dass der Kläger auf die Verschlechterung der Prognose seiner Erkrankung durch die aufgetretenen Metastasen mit erheblicher Verunsicherung und depressiver Störung reagiert habe, Besonders belastend und bedrohend ...

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