Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung bei Erwerbsminderung. kostenloses Mittagessen in einer Werkstatt für behinderte Menschen. abweichende Festlegung des Regelsatzes. Sachbezug
Leitsatz (amtlich)
1. Erhalten Leistungsberechtigte nach den §§ 41ff SGB 12 einen Teil ihrer Ernährung anderweitig (hier kostenlos in der WfbM zur Verfügung gestelltes Mittagessen), ist der Sozialleistungsträger grundsätzlich befugt, die dem Leistungsempfänger gewährte Grundsicherung wegen der Nutzung des kostenlosen Mittagessens zu kürzen. Die Regelbedarfsätze können dann abweichend festgelegt werden (§ 28 Abs 1 S 2 SGB 12).
2. Vorläufig ist insoweit bei Haushaltsangehörigen ein Betrag von 1,45 Euro pro Mittagessen entsprechend 26,58 Euro monatlich anzusetzen.
Normenkette
SGB XII § 28 Abs. 1 S. 2, §§ 41-42, 27; DVO § 2 Abs. 1 S. 1
Tenor
Auf die Beschwerden der Beteiligten wird der Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 15.Mai 2006 neu gefasst.
Der Antragsgegner wird im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig - unter dem Vorbehalt der Rückforderung - vom 1.März bis 31.Dezember 2006 höhere Leistungen nach dem 4. Kapitel Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) unter Berücksichtigung eines um nur 26,58€ (statt 40,00€) monatlich reduzierten Regelsatzes zu gewähren.
Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller 1/3 seiner zweitinstanzlich angefallenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes höhere Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel SGB XII. Dabei ist streitig, ob bzw in welcher Höhe der Regelsatz zu kürzen ist, weil der Antragsteller in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) unentgeltlich eine Mahlzeit erhält.
Der 1977 geborene Antragsteller (Beschwerdeführer und Anschlussbeschwerdegegner), der zum Personenkreis der behinderten Menschen gehört (GdB 100, Merkzeichen G, H, B) lebt bei seinen Eltern und arbeitet in einer WfbM, einer teilstationären Einrichtung, in der ihm arbeitstäglich eine vollständige Mahlzeit zur Verfügung gestellt wird. Er bezog von dem Antragsgegner (Beschwerdegegner und Anschlussbeschwerdeführer) auf Grund eines bis zum 31.Dezember 2005 befristeten Bescheides vom 9.Mai 2005 Leistungen nach § 41 ff SGB XII in Höhe von (hier unstreitigen) 352,86 € monatlich. Mit Bescheid vom 29.Dezember 2005 wurden ihm Leistungen der Grundsicherung für die Zeit vom 1.Januar 2006 bis zum 31.Dezember 2006 nur noch in Höhe von 312,86 € gewährt. Dabei wurde der früher bewilligte Betrag um 40,00 € gekürzt, weil er in der WfbM eine vollständige Mahlzeit erhalte. Diese nehme er unentgeltlich ein, so dass ein Teil des Bedarfs an Ernährung gedeckt werde und eine Abweichung von der Regelleistung gerechtfertigt sei. Der hiergegen am 2.Januar 2006 eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10.Februar 2006), am 6. März 2006 hat der Antragsteller Klage beim Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben (Az: S 10 SO 48/06).
Am 8.März 2006 hat der Antragsteller beim SG Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und die Zahlung weiterer 40,00 € monatlich an Grundsicherungsleistungen begehrt. Mit Beschluss vom 15.Mai 2006 hat das SG den Antragsgegner im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 1.März 2006 bis zum 31.Dezember 2006 unter dem Vorbehalt der Rückforderung weitere Leistungen in Höhe von 13,42 € monatlich zu gewähren. Der Antragsgegner sei grundsätzlich berechtigt, das in der Werkstatt eingenommene Mittagessen leistungsmindernd zu berücksichtigen. Der mit monatlich 40,00 € angesetzte Betrag für das Mittagessen sei zu hoch, ein Betrag von 1,45 € pro Mittagessen sei angemessen. Von dem Regelsatz für einen Haushaltsvorstand (345,00 €) entfielen auf Nahrungsmittel einschließlich Getränke und Tabakwaren 132,48 €, dementsprechend seien bei einer Gewährung von 80% des Regelsatzes 3,53 € täglich für den Ernährungsanteil zu berücksichtigen. Da das Mittagessen an dem gesamten Ernährungsbedarf mit 2/5 zu bewerten sei, ergebe sich ein Betrag von 1,41 €, der wegen der ersparten Aufwendungen für die Zubereitung des Mittagessens auf 1,45 € zu erhöhen sei. Bei durchschnittlich 220 Arbeitstagen pro Jahr seien dies 26,58 € pro Monat.
Der rechtzeitig eingelegten Beschwerde des Antragstellers hat das SG nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt. Der Antragsteller beruft sich weiterhin auf das Urteil des SG Dortmund vom 18.Oktober 2005 (S31 SO 10/05, NDV-RD 2006, S. 40) und führt darüber hinaus aus, dass das SG die Vorschrift von § 92 Abs 2 Satz 4 SGB XII falsch interpretiert habe. Danach sei die Aufbringung der Mittel nach § 92 Abs 1 Satz 1 Nrn 7 und 8 SGB XII aus dem Einkommen dem behinderten Menschen nicht zumutbar, wenn sein Einkommen insgesamt einen Betrag in Höhe des zweifachen Eckregelsatzes nicht übersteige. Schließlich...