Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung bei Erwerbsminderung. kostenloses Mittagessen in Werkstatt für behinderte Menschen. abweichende Festlegung des Regelbedarfs gem § 28 Abs 1 S 2 SGB 12. kein Einkommenseinsatz. kein Unterlaufen des § 92 Abs 2 S 4 SGB 12. Wert der häuslichen Ersparnis
Leitsatz (amtlich)
1. Erhalten Leistungsberechtigte nach den §§ 41ff SGB 12 einen Teil ihrer Ernährung anderweitig (hier kostenlos in der WfbM zur Verfügung gestelltes Mittagessen), ist der Sozialleistungsträger grundsätzlich befugt, die dem Leistungsempfänger gewährte Grundsicherung wegen der Nutzung des kostenlosen Mittagessens zu kürzen. Die Regelbedarfsätze können dann gemäß § 28 Abs 1 S 2 SGB 12 abweichend festgelegt werden (Festhaltung an LSG Celle-Bremen vom 28.7.2006 - L 8 SO 45/06 ER = FEVS 58, 154). Eine Berücksichtigung als Einkommen ist ebenso wie im Bereich des SGB 2 nicht zulässig (Fortführung von LSG Celle-Bremen vom 30.7.2007 - L 8 AS 186/07 ER ).
2. Der Wert des Mittagessens beträgt 39,07% der sich für Nahrungsmittel und Getränke ohne Alkoholika und Tabakwaren aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ergebenden Anteile am individuellen Regelsatz zuzüglich eines Betrages für Kochenergie von 0,03 Euro.
3. Die häusliche Ersparnis darf bei der abweichenden Festlegung des Regelsatzes nur berücksichtigt werden, wenn diese Ersparnis tatsächlich eintritt.
Orientierungssatz
1. Im Bereich des SGB 2 ist keine abweichende Festlegung des Regelbedarfs entsprechend des § 28 Abs 1 S 2 SGB 12 vorgesehen; deshalb ist bei Leistungen nach SGB 2 die von Dritten zur Verfügung gestellte Verpflegung nicht zu berücksichtigen (vgl LSG Celle-Bremen vom 30.7.2007 - L 8 AS 186/07 ER).
2. Die Berücksichtigung des kostenlosen Mittagessens auf Bedarfs- und nicht auf Einkommensseite führt nicht zu einem systemwidrigen Unterlaufen der Regelung in § 92 Abs 2 SGB 12. Diese Vorschrift findet zwar bei der Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53ff SGB 12 Anwendung, das kostenlose Mittagessen ist jedoch kein Bestandteil der Eingliederungshilfe, sondern der nach §§ 41ff iVm § 28 SGB 12 zu gewährenden Hilfe zum Lebensunterhalt. § 41 Abs 2 SGB 12 verweist jedoch gerade nicht auf § 92 SGB 12.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 7. Juli 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte eine Kürzung der Grundsicherungsleistungen der Klägerin nur für Betreuungstage mit Inanspruchnahme des kostenlosen Mittagessens durchführen darf, und zwar in Höhe von 1,20€ pro Tag.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Der Beklagte hat ein Fünftel der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahren zu erstatten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Grundsicherungsleistungen kürzende Anrechnung kostenlosen Mittagessens in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Streitig ist der Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2006.
Die im Juli 1972 geborene Klägerin wohnt in Haushaltsgemeinschaft mit ihrem Betreuer und dessen Ehefrau - ihren Pflegeeltern -. Bei der Klägerin ist ein GdB von 100 anerkannt mit den Merkzeichen G und H. Sie besucht eine WfbM im Produktionsbereich seit 1. September 1993 und erhält dort ein kostenloses Mittagessen. Ihr Werkstatteinkommen betrug zuletzt 111,34 € monatlich.
Die Klägerin erhielt bis Ende des Jahres 2004 Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG). Das kostenlose Mittagessen wurde in der Bedarfsberechnung als Einkommen der Klägerin bedarfsmindernd berücksichtigt, und zwar in monatlicher Höhe von 45,00 €.
Ab dem 1. Januar 2005 wurden der Klägerin Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach den §§ 41 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) bewilligt. Der Erstbewilligungsbescheid vom 29. Dezember 2004 wurde nach Änderung der Unterkunfts- und Heizkosten ersetzt durch den im Namen und im Auftrag des Beklagten erlassenen Bescheid der Stadt H. vom 8. März 2005. Darin wurden Grundsicherungsleistungen für die Zeit von Januar 2005 bis Juni 2006 bewilligt. Das kostenlose Mittagessen wurde wiederum als monatliches Einkommen in Höhe von 45,00 € bedarfsmindernd berücksichtigt, außerdem das Kindergeld.
Dagegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin. Die Teilnahme am Mittagessen in der Werkstatt stelle sich als kostenfreie Sozialleistung gemäß § 92 Abs 2 Satz 4 SGB XII dar. Danach sei die Aufbringung der Mittel bei Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen nicht zumutbar, wenn das Einkommen des behinderten Menschen insgesamt einen Betrag in Höhe des zweifachen Eckregelsatzes nicht übersteige. So liege es hier, sodass das kostenfreie Mittagessen nicht als Einkommen anrechenbar sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2005 wurde der Widerspruch von der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das kostenlose Mittagessen als Sachbezug mit seinem We...