Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewaltopferentschädigung. Drogenmilieu. Leistungsversagung wegen Unbilligkeit. Rechtsnachfolger. Bestattungsgeld

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum Versagungsgrund nach § 2 OEG bei Zugehörigkeit von Opfer und Täter zum Drogenmilieu.

2. Das Vorliegen eines im Verhalten des Opfers begründeten Versagungsgrundes nach § 2 OEG schließt auch einen Anspruch der Rechtsnachfolger auf Bestattungsgeld (§ 36 BVG) aus.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Bestattungsgeld (§ 1 Opferentschädigungsgesetz - OEG - i.V.m. § 36 Bundesversorgungsgesetz - BVG -) nach ihrer am 21. Juni 2000 verstorbenen Tochter H. (im Folgenden: S.).

Die 1982 geborene und am 21. Juni 2000 verstorbene S. kam im März 2000 über ihren damaligen Freund I. erstmals mit Drogen in Kontakt. Nach Auseinandersetzungen mit der Klägerin wegen des Drogenkonsums suchte S. Hilfe bei der Drogenberatungsstelle “J.„. Eine dort am 14. Juni 2000 veranlasste Urinkontrolle erbrachte keinen Nachweis eines kürzlich erfolgten Drogenmissbrauchs.

Am 20. Juni 2000 hielt sich S., nachdem sie am Morgen bereits eine größere Anzahl von Diazepam-Tabletten eingenommen hatte und auch für Dritte erkennbar unter dem Einfluss dieses Medikaments stand, im Schlosspark in K. auf, einem Treffpunkt der Drogenszene. Da S. wegen Spannungen mit ihrer Mutter nicht nach Hause wollte, sprach sie Personen aus der Drogenszene an, ob sie bei ihnen übernachten könne, u.a. den der S. bis dahin unbekannten L. M.. Nachdem dieser ihr angeboten hatte, bei ihm zu übernachten, konsumierte S. u.a. mit L. M. und N. O. gemeinsam Heroin. Das von N. O. zur Verfügung gestellte Heroin wurde S. von L. M. injiziert, da sie selber hierzu nicht in der Lage war. Im Laufe des Abends wurde der gemeinsame Heroinkonsum in der Wohnung des L. M. fortgesetzt; dieser verabreichte der S. zwei weitere Injektionen Heroin. Infolge des Drogenkonsums fiel S. in einen apathischen Zustand; zeitweise kam es zu Zuckungen. S. wurde daraufhin vom Wohn- in das Schlafzimmer getragen, wo sie - in einem zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ansprechbaren und nicht mehr wahrnehmungsfähigen Zustand - von N. O. sexuell missbraucht wurde.

In der Folgezeit verschlechterte sich der Zustand der S. weiter, so dass der Rettungsdienst verständigt wurde. Die eingeleiteten Rettungsmaßnahmen blieben jedoch erfolglos. S. verstarb an den Folgen einer kombinierten Schlafmittel-/Heroinintoxikation, wobei die Heroinwirkung im Vordergrund stand (vgl. rechtsmedizinisches Gutachten des Prof. Dr. P., PD Dr. Q. und des Arztes R. vom 21. August 2000).

Das Landgericht K. verurteilte N. O. wegen sexuellen Missbrauchs und Verabreichung von Betäubungsmitteln mit Todesfolge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren, L. M. wegen Verabreichung von Betäubungsmitteln mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren (Urteil vom 8. März 2001 -S.).

Den von der Klägerin am 23. Januar 2001 gestellten Antrag auf Bestattungsgeld lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, dass S. zwar Opfer einer Gewalttat geworden sei, Versorgung jedoch wegen Unbilligkeit zu versagen sei (§ 2 Abs. 1 Satz 1 OEG). S. habe dem Drogenmilieu angehört, in dem Straftaten an der Tagesordnung und Gewalttaten nicht unüblich seien. S. habe sich bewusst außerhalb der staatlichen Gemeinschaft gestellt und somit einer Selbstgefährdung ausgesetzt (Bescheid vom 10. September 2001).

Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, dass S. weder Rauschgifthändlerin noch Mitglied einer Diebesbande oder sonstigen kriminellen Vereinigung gewesen sei. Sie sei vielmehr als unschuldiges Opfer zum Drogenkonsum verleitet worden. Unmittelbar vor ihrem Tod habe sie eine Drogenberatungsstelle aufgesucht, um von den Drogen loszukommen.

Der Widerspruch wurde mit der ergänzenden Begründung zurückgewiesen, dass angesichts der Anzahl der bei der Obduktion festgestellten Einstiche am linken Unterarm schwerlich nur am 20. Juni 2000 Drogen konsumiert worden sein könnten. Zudem fehle es an einer für den Tod verantwortlichen Gewalttat, da sowohl die Diazepam-Tabletten als auch das Heroin freiwillig konsumiert worden seien. Dass S. zudem Opfer einer Sexualstraftat geworden sei, begründe keinen Anspruch auf Bestattungsgeld, da S. nicht an den Folgen der Vergewaltigung gestorben sei (Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2002).

Mit der am 18. Februar 2002 beim Sozialgericht (SG) Braunschweig erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass die Verabreichung von Heroin auch bei einer etwaigen Einwilligung des Opfers als Gewalttat i.S.d. OEG anzusehen sei. Die feindselige Willensrichtung ergebe sich bereits allein aus der Strafbarkeit dieser Handlung gem. § 30 Betäubungsmittelgesetz (BtMG).

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 9. Dezember 2005 abgewiesen. Es hat zwar - entsprechend der Rechtsauffassung der Klägerin - die Verabreichung von Heroin als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff i.S.d. ...

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