Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 4109. haftungsbegründende Kausalität. Nachweis. erhöhte Nickelkonzentration im Lungengewebe. keine Konkurrenzursache. tödliches Bronchialkarzinom. Rohrleitungsmonteur. Anlagenmechaniker
Leitsatz (amtlich)
Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen beruflichen Schweiß- und Schleifarbeiten und einem tödlichen Bronchialkarzinom iSd BK Nr 4109 kann sich daraus ergeben, dass in der Lunge des Versicherten eine um mehr als das 50fach erhöhte Nickelkonzentration vorgefunden wurde und andere als berufliche Ursachen hierfür nicht ersichtlich sind.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 9. September 2015 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2011 abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Lungenkrebserkrankung des am 9. Januar 2010 verstorbenen Ehegatten der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr 4109 der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung gewesen ist.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.
Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit stehen die Anerkennung einer Lungenkrebserkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Nr 4109 der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV ≪Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen; BK Nr 4109≫) und die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen.
Der 1958 geborene Ehemann der Klägerin (Versicherter) hatte ab April 1974 eine 3-jährige Ausbildung zum Kessel- und Behälterbauer absolviert und war im Anschluss für etwa ein Jahr als Behälterbauer tätig. Nach Ableistung des Wehrdienstes war er von 1979 bis 1998 als Rohrleitungsmonteur und seit 1998 als Anlagenmechaniker beschäftigt. Während seiner gesamten beruflichen Tätigkeiten verrichtete er Schweiß- und Schleifarbeiten an Rohren aus Chrom-Nickel-Stahl.
Im Mai 2009 wurde bei dem Versicherten ein vom rechten Lungenoberlappen ausgehendes Adenobronchialkarzinom mit Lebermetastasen und malignem Pleuraerguss diagnostiziert (Bericht der Lungenklinik F. vom 10. Juli 2009; Bericht Prof. Dr. G. vom 12. Juni 2009). Nachdem die Krankenkasse den Krankheitsfall der Berufsgenossenschaft (BG) Metall Nord Süd als BK angezeigt hatte, nahm die BG Ermittlungen zur Feststellung einer BK und dem Bestehen von Leistungsansprüchen auf (ua Schreiben der BG an den Versicherten vom 12. August 2009). Am 9. Januar 2010 verstarb der Versicherte.
Nach den Ermittlungen des Präventionsdienstes der BG war der Versicherte während seines gesamten Tätigkeitszeitraums bei der H. GmbH von April 1974 bis zur Diagnose der Krebserkrankung gegenüber Schleifstäuben von chrom-/nickelhaltigen Stählen und entsprechenden Schweißrauchen exponiert. Bei dem vorwiegend angewandten WIG-Schweißverfahren seien die früheren Grenzwerte von 0,05 mg/m³ für Chrom(VI)-Verbindungen und 0,5 mg/m³ für Nickeloxid immer unterschritten worden. Bei gelegentlichen Plasmaschneidearbeiten sei zwar mit häufigen Überschreitungen zu rechnen, jedoch seien solche Arbeiten eher selten durchzuführen gewesen (Stellungnahme I. vom 3. Februar 2010, ergänzt durch das Gesprächsprotokoll vom 6. Juni 2011). Zusammengefasst sei der Versicherte Einwirkungen durch Chrom(VI)-Verbindungen im Umfang von 307 µg/m³ x Jahre und durch Nickel und seine Verbindungen im Umfang von 2.253 µg/m³ x Jahre ausgesetzt gewesen (Stellungnahme I. vom 4. März 2010).
Zur Klärung der Todesursache ließ die Beklagte den Versicherten mit dem Einverständnis der Klägerin exhumieren. Die Analyse der bei der Obduktion entnommenen Lungengewebsproben durch den Arbeitsmediziner Prof. Dr. Dr. J. ergab eine aus arbeitsmedizinisch-toxikologischer Sicht relevante Kumulation von Chrom und Nickel bzw deren Verbindungen am Zielorgan Lunge zum Todeszeitpunkt. Bezogen auf das Trockengewicht waren die oberen Normgrenzen um bis zu 28,8-fach (Chrom) bzw 53,7-fach (Nickel) überschritten (Befundbericht Prof. Dr. Dr. J. vom 14. April 2010).
Im Anschluss erstattete Prof. Dr. Dr. J. ein Gutachten, in dem er zu dem Ergebnis kam, dass eine für die Lungenkrebserkrankung des Versicherten zumindest als teilursächlich wesentlich einzustufende Exposition gegenüber VI-wertigem Chrom oder oxidischen Nickelverbindungen nicht vorgelegen habe. Die ermittelten Chrom- und Nickelkonzentrationen im Lungengewebe spiegelten vor allem die inhalative Exposition gegenüber chrom-nickelhaltigen Stäuben wider, die beim Schleifen von Edelstählen aufträten. Diesen zumindest teilweise lungengängigen Stäuben mit hoher Biobeständigkeit in der Oxidationsstufe 0 (elementares bzw metallisches Chrom und Nickel) könne jedoch kein beim Menschen als gesichert anzunehmendes krebserzeugendes Potenzial zugeordnet werden (Gutachten vom 27. Juli 2010 mit ergänzender Stellungnahme vom 26. Januar 2011).
In einem weiteren Gutach...