Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit eines Statusfeststellungsverfahrens nach Beendigung der ihm zugrundeliegenden Tätigkeit. schützenswertes Interesse an dessen Durchführung. Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Tätigkeit als Steuerberater in einer Steuerberaterkanzlei auf der Basis eines Freie-Mitarbeiter-Vertrages. sozialgerichtliches Verfahren. Kostenentscheidung. Kostenprivilegierter
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Statusfeststellung für eine zum Antragszeitpunkt oder erst danach beendete Tätigkeit ist zwar im Grundsatz, aber nicht schrankenlos möglich.
2. Für die Durchführung und die gerichtliche Überprüfung gelten bei bereits längere Zeit beendeten Tätigkeiten dahingehend gesteigerte Anforderungen, dass die von der Statusfeststellung erfasste Tätigkeit über seine Beendigung hinaus noch eine gegenwärtige Wirkung erzeugen muss. Diese Voraussetzung ist von den Beteiligten des jeweiligen Tätigkeitsverhältnisses auf behördliche bzw gerichtliche Aufforderung schlüssig darzulegen.
3. Es ist grundsätzlich unerheblich - insbesondere wenn die Schwelle der Missbräuchlichkeit nicht überschritten wird -, aufgrund welcher Motivation es zur Einleitung eines Statusfeststellungsverfahrens nach Beendigung einer Tätigkeit kommt.
4. Ein schützenswertes Interesse an der Durchführung des Statusfeststellungsverfahrens liegt nicht erst vor, wenn das Ergebnis für ein laufendes nicht nur beabsichtigtes steuerrechtliches Verfahren verbindlich ist. Es genügt, wenn es unter Berücksichtigung von Äußerungen der Steuerbehörde als Argument von einigem Gewicht Eingang finden soll und die Statusfrage im steuerrechtlichen Verfahren entscheidungserheblich ist.
5. Ein Inhaber einer Steuerberaterkanzlei, der diese samt Mandantenstamm an einen anderen Steuerberater veräußert und danach im Rahmen eines Freie-Mitarbeiter-Vertrages als Steuerberater für den Erwerber ausschließlich umsatzabhängig tätig wird, sich vertraglich eine weitreichende Unabhängigkeit gesichert hat und weiterhin gegenüber Mandanten wie ein Inhaber auftritt, wird als Selbständiger tätig.
6. Kostenprivilegiert ist iS des § 183 SGG ist auch ein Beigeladener, der in seiner Eigenschaft als (potenziell) Beschäftigter ein Rechtsmittel einlegt.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beigeladenen wird der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Osnabrück vom 21. August 2019 wie folgt neu gefasst: „Die Bescheide der Beklagten vom 20. September 2018 werden aufgehoben.“.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens darüber, ob der Beigeladene in seiner im Zeitraum vom 1. Juli 2004 bis 7. November 2014 für den Kläger verrichteten Tätigkeit als Steuerberater der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.
Der Kläger und der 1946 geborene Beigeladene sind Steuerberater. Der Beigeladene war zunächst Inhaber einer Steuerberaterkanzlei. Im Zuge der beabsichtigten Übertragung der Steuerberaterkanzlei auf den Kläger schlossen sie am 31. Juli 2003 einen „Freie-Mitarbeiter-Vertrag“ (im Folgenden: Vertrag), nach dem der Beigeladene für den Kläger „für dessen Mandanten“ steuerberatende Tätigkeiten übernahm, insbesondere die Erstellung von Buchführungen, Jahresabschlüssen und Steuererklärungen. Der Beigeladene habe diese Arbeiten im Rahmen der vom Kläger gegebenen Richtlinien in eigener Verantwortung durchzuführen (§ 1 Abs. 1 des Vertrages). Der Beigeladene sei nicht an bestimmte Arbeitszeiten gebunden (§ 1 Abs. 2 des Vertrages). Als Vergütung wurde eine „Gebühr“ in Höhe von 12% der an den Kläger gezahlten Netto-Umsätze vereinbart (§ 2 Abs. 1 a des Vertrages). Sofern der Umsatz im Kalenderjahr mehr als 500.000,- Euro betrage und der Anteil der Personalkosten nicht mehr als 33% ausmache, erhöhe sich die Vergütung um 3% (§ 2 Abs. 1 b des Vertrages). Aufwendungen z. B. für Geschäftsreisen, Tagungen, Abwesenheitsgelder sowie Übernachtungskosten würden gesondert vergütet. Die Abrechnung erfolge entsprechend den Pauschalen im Steuerrecht. Fahrtkosten würden vom Kläger grundsätzlich nicht übernommen (§ 2 Abs. 2 des Vertrages). Die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer werde gesondert in Rechnung gestellt (§ 2 Abs. 3 des Vertrages). Der Beigeladene habe bei den von ihm gefertigten Arbeiten, insbesondere bei den Jahresabschlüssen, ein Mitzeichnungsrecht (§ 3 Abs. 1 des Vertrages). Er sei berechtigt, die von ihm gefertigten Arbeiten, insbesondere Jahresabschlüsse, im Namen des Auftraggebers zu unterzeichnen (§ 3 Abs. 2 des Vertrages). Der Beigeladene könne zur Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben „bei ihm“ beschäftigte Personen hinzuziehen. Eine Wei...