Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer

 

Orientierungssatz

1. Aus Wortlaut und Zweck der Regelung des § 2 Abs 1 AsylbLG ist zu schließen, dass es für die Beurteilung der rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts auf die gesamte Dauer des Aufenthalts des Ausländers im Bundesgebiet ankommt und nicht etwa nur auf die Dauer des Aufenthalts nach der rechtskräftigen Ablehnung des Asylantrags.

2. Ob ein Verhalten eines Ausländers als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts zu werten ist, ist unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung zu entscheiden. Weil die Regelung nach dem offenkundigen Willen des Gesetzgebers die Regelung des Art 16 EGRL 9/2003 umsetzen soll, ist diese zur Auslegung des § 2 Abs 1 AsylbLG heranzuziehen. Weitere Auslegungskriterien für die Entscheidung der Frage rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sind unter rechtssystematischen Gesichtspunkten zudem der Regelung des § 1a AsylbLG zu entnehmen.

3. Allein die Nutzung der Rechtsposition der Duldung kann ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht begründen, wenn die Dauer des Aufenthalts nicht auf rechtlich oder tatsächlich zu beanstandendem Verhalten des Ausländers beruht.

4. Ein vor Inkrafttreten des § 2 Abs 1 AsylbLG idF vom 30.7.2004 liegendes rechtsmissbräuchliches Verhalten ist nicht nur dann leistungseinschränkend beachtlich, wenn es in den Streitzeitraum fortwirkt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.02.2007; Aktenzeichen B 9b AY 2/06 R)

 

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 24.Juni 2005 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger beanspruchen Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Verbindung mit dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) mit Wirkung ab 1. Februar 2005.

Der im Jahr 1952 in K. geborene Kläger zu 1) und die im Jahr 1961 in L. geborene Klägerin zu 2) sind die verheirateten Eltern des im Jahr 1990 in M. geborenen Klägers zu 3) und des im Jahr 1994 in N. geborenen Klägers zu 4). Die Kläger sind Angehöriger der Volksgruppe der Roma aus dem O. Sie besitzen die serbisch - montenegrinische Staatsangehörigkeit.

Die Kläger zu 1) bis 3) reisten zusammen mit vier weiteren zwischen 1980 und 1985 geborenen Kindern der Kläger zu 1) und zu 2) am 15. April 1992 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Asylanträge der Kläger wurden durch Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Niedersachsen vom 16. September 1997 (8 L 7645/95) und am 26. April 1996 durch Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) G. (13 A 309/96) abgelehnt; die Entscheidungen sind rechtskräftig. Das Gleiche gilt für die ablehnenden Entscheidungen über die Feststellung von Abschiebehindernissen nach § 53 Ausländergesetz (AuslG).

Bei der Einreise gaben die Kläger zu 1) bis 3) an, Angehörige der Volksgruppe der Roma zu sein. Im Verlauf des Asylverfahrens erklärten sie, sie seien albanischer Volkszugehörigkeit und moslemischer Glaubenszugehörigkeit. Anlässlich einer Vorsprache der Klägerin zu 2) am 17. Juli 2000 bei der zuständigen Ausländerbehörde erklärte diese, entgegen ihren früheren Angaben, P. zu sein, gehörten sie dem Volk der Roma an.

Ausweislich der Verwaltungsakten der Beklagten erklärten die Kläger unter dem 26. November 1997 und auch unter dem 27. April 2005, nicht bereit zu sein, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Sie seien auch nicht bereit, entsprechende Identitätsnachweise vorzulegen beziehungsweise sich bei der Heimatbotschaft um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen.

Den Antrag der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 10. Mai 2005 ab.

Seit der Einreise der Kläger zu 1) bis 3) in das Bundesgebiet wird ihr Aufenthalt ausländerrechtlich geduldet. Das Gleiche gilt für den Kläger zu 4). Den Verwaltungsakten der Beklagten (Bl 283) ist zu entnehmen, dass die Kläger anlässlich von Vorsprachen zur Verlängerung der Duldungen mündlich aufgefordert worden sind, Reisepässe zum Zweck der freiwilligen Ausreise bei der serbisch-montenegrinischen Botschaft in Q. zu beantragen. Dies ist indes nicht geschehen.

Die Kläger beziehen Grundleistungen nach dem AsylbLG. Zunächst bezogen sie Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG und zuletzt bis zum 30. September 2004 nach § 2 AsylbLG. Durch Bescheid vom 16. September 2004 bewilligte die Stadt R. mit Wirkung ab 1. Oktober 2004 Leistungen - nur noch - nach §§ 3 ff AsylbLG. Den Widerspruch der Kläger hiergegen wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 21. März 2005 als unbegründet zurück. Auf die hiergegen erhobene Klage zum Az. S 51 AY 36/05 verpflichtete das Sozialgericht (SG) Hannover die Beklagte durch Gerichtsbescheid vom 25. Mai 2005, den Klägern Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit dem SGB XII mit Wirkung ab 1. bis 31. Januar 2005 zu bewilligen. Über die hiergegen eingelegte Nichtzulassun...

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