Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Arbeit. Erstattungsfähigkeit von Arbeitsentgelt nach Umzug gem § 107 BSHG. Verzinsung des Erstattungsbetrages
Leitsatz (amtlich)
1. Ist maßgebliche Grundlage für den Abschluss eines Arbeitsvertrages zwischen einem Hilfebedürftigen und einem Dritten sowie für die Zahlung des vom Sozialhilfeträger subventionierten Arbeitsentgeltes an den Dritten die Gewährung der Sozialhilfe an den Hilfebedürftigen, ist das gezahlte Arbeitsentgelt gleichsam die Fortsetzung der Gewährung der Sozialhilfe mit anderen Mitteln. In einem solchen Fall handelt es sich bei dem vom Sozialhilfeträger gezahlten Arbeitsentgelt um erforderliche Hilfe iS des § 107 Abs 1 BSHG.
2. Bei Erstattungsansprüchen nach § 107 BSHG handelt es sich um Geldschulden, die in entsprechender Anwendung der §§ 291, 288 Abs 1 Satz 2 BGB ab Rechtshängigkeit zu verzinsen sind, wobei der Zinssatz für das Jahr 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz beträgt (vgl BVerwG vom 22.2.2001 - 5 C 34/00 = BVerwGE 114, 61 = FEVS 52, 433; BSG vom 23.3.2006 - B 3 KR 6/05 R = SozR 4-7610 § 291 Nr 3 = SGb 2006, 753).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 19. April 2006 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 21.430,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der endgültige Streitwert wird auf 21.430,75 € festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Beklagte als Sozialhilfeträger nach dem Umzug einer Hilfebedürftigen aus ihrem Zuständigkeitsbereich in den Zuständigkeitsbereich des Klägers dessen Sozialhilfeaufwendungen für die Hilfebedürftige erstatten muss.
Die im Oktober 1957 geborene Hilfebedürftige G. wohnte bis zum 30. Oktober 2003 in H. in der I.. Bis zu diesem Zeitpunkt erhielt die Hilfebedürftige dort Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt -. Aufgrund psycho-physischer Beeinträchtigungen der Hilfebedürftigen war beabsichtigt, dass diese beim Verein J. e.V. - eine biologisch-dynamische Landwirtschaft -, gelegen in K. eine gemeinnützige Arbeit aufnimmt. Die Hilfebedürftige strebte diese Arbeit bei dem Verein J. e. V. an, um ihrer psychischen Beeinträchtigung Herr zu werden. Aus diesem Grund zog die Hilfebedürftige zum 1. November 2003 nach K., gelegen im Zuständigkeitsbereich des Klägers. Die Hilfebedürftige erhielt ab diesem Zeitpunkt Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - vom Kläger, und zwar bis zum 29. Februar 2004 (Einstellungsbescheid vom 17. Februar 2004).
Der Kläger schloss im Dezember 2003 mit dem Hof J. eine Vereinbarung, wonach dieser sich verpflichtete, die Hilfebedürftige für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2004 zur Verrichtung von gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeiten einzustellen; die Einstellung erfolge im Rahmen der Hilfe zur Arbeit nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und diene der Schaffung von Arbeitsgelegenheiten im Sinne von § 19 BSHG. In der Vereinbarung war ua festgelegt die wöchentliche Arbeitszeit (38,5 Stunden) und ein monatlicher Bruttolohn von 1.579,85 €. Zwischen der Hilfebedürftigen und dem Hof J. wurde in Ausführung dieser Vereinbarung ein Arbeitsvertrag geschlossen, als Beginn des Arbeitsverhältnisses war der 1. Februar 2004 vereinbart, die regelmäßige Arbeitszeit mit 38,5 Stunden in der Woche und die monatliche Bruttovergütung von 1.579,85 €. Aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung der Hilfebedürftigen konnte der vorgesehene Arbeitsbeginn zum 1. Januar 2004 nicht eingehalten werden. Allerdings hat die Hilfebedürftige in den Monaten zuvor gemeinnützige Arbeit auf dem Hof J. geleistet, die Stunde mit 1,00 € vergütet. Der Arbeitsvertrag wurde bis Ende 2004 durchgeführt.
Der Kläger hatte bereits im November 2003 einen Kostenerstattungsantrag gemäß § 107 BSHG bei der Beklagten angemeldet, den diese dem Grunde nach anerkannt hat. Im Laufe des Verfahrens hat die Beklagte die Aufwendungen der Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - für die Hilfebedürftige erstattet. Abgelehnt wurde die Kostenerstattung für das gezahlte Arbeitsentgelt. Der Kläger hatte sich in der Vereinbarung aus Dezember 2003 verpflichtet, dem Hof J. den Arbeitslohn einschließlich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung zu erstatten.
Der Kläger hat am 5. Januar 2006 Klage beim Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben. Er hat vorgetragen, dass die Beklagte auch Kostenerstattung für den übernommenen Arbeitslohn einschließlich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung zu leisten habe. Diese Kosten seien nach § 19 Abs 2 BSHG entstanden und gehörten daher zu der an die Hilfebedürftige geleisteten Sozialhilfe. Die Beklagte ist dem mit der Begründung entgegengetreten, dass die Hilfebedürftige das Arbeitsentgelt aufgrund eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages erhalten habe. Derartige Aufwendungen seien von der Kostenerstattung nach § 107 BSHG ausgenommen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19. A...