Entscheidungsstichwort (Thema)

Fiktion der Klagerücknahme bei Wegfall des Rechtsschutzinteresses

 

Orientierungssatz

1. Bei der fingierten Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 SGG handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Fall des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses. Der Wegfall des Rechtsschutzinteresses bedeutet ein Desinteresse an der weiteren Verfolgung des Begehrens. Dieses ist nach der Rechtsprechung nur in seltenen Ausnahmefällen zu unterstellen.

2. Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses können sich aus der Verletzung prozessualer Mitwirkungspflichten des Klägers ergeben. Daraus muss sich aber der Schluss auf einen Wegfall des Sachentscheidungsinteresses, also des Desinteresses des Klägers an der weiteren Verfolgung seines Begehrens, ableiten lassen.

3. Die Vorschrift dient nicht der Sanktionierung prozessleitender Verfügungen. Es genügt für eine Betreibungsaufforderung i. S. des § 102 Abs. 2 S. 1 SGG nicht jegliche Verletzung einer Mitwirkungspflicht, sondern nur das Unterlassen solcher prozessualer Mitwirkungshandlungen, die für die Feststellung von entscheidungserheblichen Tatsachen bedeutsam sind und die für das Gericht notwendig sind, um den Sachverhalt zu klären und eine Entscheidung zu treffen.

 

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 24. August 2009 wird aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit S 38 KR 456/06 nicht durch die Klagerücknahmefiktion des § 102 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz beendet worden ist.

Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Hannover zurück verwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Der Streitwert wird auf 5.845,44 € festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob das Klageverfahren durch die Rücknahmefiktion gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückgenommen ist.

In der Sache geht es um Kostenerstattung für Behandlungskosten in der psychiatrischen Klinik der Klägerin vom 1. März bis 25. März 2004 für die bei der Beklagten versicherte K. L.(Versicherte).

Die Versicherte wurde am 13. September 2003 nach § 18 Nds. PsychKG bei der Klägerin eingeliefert. Die Behandlung erfolgte wegen einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Die Versicherte befand sich vom 13. September 2003 bis 23. Dezember 2003 auf der Akutstation 50 A der Klägerin und wurde am 23. Dezember 2003 auf die Soziotherapiestation 51 A der Klägerin verlegt.

Die Beklagte übernahm zunächst die Kosten der Krankenhausbehandlung der Versicherten bis zum 15. Dezember 2003 und aufgrund eines Kostenübernahmeverlängerungsantrages vom 5. Dezember 2003 weiter bis zum 29. Februar 2004 (Schreiben vom 2. März 2004 an die Klägerin).

Einen neuen Antrag auf Kostenübernahmeverlängerung vom 16. März 2004 lehnte die Beklagte nach Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) M. vom 26. März 2004 mit Schreiben vom 23. April 2004 ab. Sie führte zur Begründung aus, dass es sich bei dem Krankenhausaufenthalt um einen sog. Pflege- bzw. Eingliederungsfall handeln würde, so dass als Kostenträger das BSHG in Betracht komme. Eine Kostenübernahme über den 29. Februar 2004 hinaus sei nicht möglich. Die Klägerin wurde gebeten, sich wegen der Kostenübernahme an den zuständigen Sozialhilfeträger zu wenden.

Mit Schreiben vom 2. November 2004 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie nach Einschaltung der Abteilung Sozialpsychiatrie und Psychotherapie von einer Herausgabe der Akte absehen möchte und verwies auf die Schreiben vom 8. Dezember 2003, 16. Februar 2004 und 16. März 2004. Bei weiterem Diskussionsbedarf würde die Abteilung Sozialpsychiatrie und Psychotherapie zu einem Gespräch in die MHH einladen, bei dem Einblick in die Akte gewährleistet werden könne.

Am 10. Dezember 2004 ging bei der Beklagten die Endabrechnung über die Behandlung der Versicherten vom 1. März 2004 bis 24. März 2004 in Höhe von 5.845,44 € ein. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2004 lehnte die Beklagte erneut die Kostenerstattung für den streitigen Zeitraum ab.

Am 25. August 2006 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover (Az: S 38 KR 456/06) wegen ausstehender Behandlungskosten erhoben. Sie hat zur Begründung ausgeführt, der MDK habe verkannt, dass es sich bei der Versicherten gerade in den Monaten Februar und März des Jahres 2004 um eine notwendige Akutmaßnahme gehandelt habe, die aus medizinischen Gründen nur im Rahmen eines Krankenhauses hätte durchgeführt werden können. An eine primär-rehabilitative Behandlungseinrichtung könne überhaupt erst nach Abschluss der Akutbehandlung zu denken sein, was nach Ansicht der behandelnden Ärzte erst ab dem 29. März 2004 der Fall gewesen sei. Die Ärzte des MDK hätten die Klägerin nie gesehen oder untersucht. Bei psychiatrisch behandlungsbedürftigen Patienten komme es nicht schon auf eine rein theoretische Möglichkeit ambulant-ärztlicher Versorgung an. Erforderlich wäre vielmehr der Nachweis einer tatsächlich vorhanden gewesenen...

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