Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Anpassung des JAV gem § 573 Abs 3 RVO. Kausalität zwischen nicht mehr möglicher Erwerbstätigkeit und Versicherungsfall. Zusammenwirken: unfallabhängige Gesundheitsstörung. unfallunabhängige Erkrankung. Theorie der wesentlichen Bedingung

 

Orientierungssatz

Zum Nichtvorliegen eines Anspruch auf Anpassung des JAV gem § 573 Abs 3 RVO, wenn eine Erwerbstätigkeit aufgrund eines nach der Rentengewährung neben den Unfallfolgen aufgetretenen unfallunabhängigen Leidens (hier: MS-Erkrankung) nicht mehr ausgeübt werden kann.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 15.06.2010; Aktenzeichen B 2 U 22/09 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 13. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Wege eines Überprüfungsantrages nach § 44 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) eine Anpassung des seiner Rentenberechnung zu Grunde liegenden Jahresarbeitsverdienstes (JAV).

Der Kläger wurde am 29. März 1973 als achtjähriger Schüler von einem Pkw angefahren und erlitt hierbei ein schweres Schädelhirntrauma. Der Beklagte anerkannte mit Bescheid vom 23. April 1975 als Folgen des Unfalls eine motorische Behinderung, die sich in einer Gangstörung und eingeschränkter Beweglichkeit der Hände äußert, ein psychoorganisches Syndrom, das sich in einer Verlangsamung des Wahrnehmungs- und Reaktionstempos und Sprachablaufs äußert, mangelnde psychische Belastbarkeit und eine Bewegungseinschränkung des linken Schulter- und Ellenbogengelenkes sowie mit Bescheid vom 5. Mai 1976 eine Bewegungseinschränkung der Hüften, Knick-Senkfüße beidseits mit spastischer Spitzfußhaltung links bei intendierter Bewegung, Coxa valga und Genua valga beidseits sowie einen Zustand nach gedecktem Schädelhirntrauma mit linksbetonter spastischer Tetraparese. Er gewährte dem Kläger ab dem 1. April 1975 eine Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v. H. Grundlage dieser Entscheidung waren die Gutachten des Neurologen Dr. M vom 3. April 1975 und des Orthopäden Dr. E - Jugendwerk G e. V. - vom 20. Februar 1976, wonach ab April 1975 die MdE auf neurologischem Fachgebiet 50 v. H. und auf orthopädischem Fachgebiet 40 v. H. betrage.

Der Kläger erwarb nach Besuch einer Behindertenschule den Hauptschulabschluss und absolvierte anschließend eine Ausbildung zur Bürokraft. In der Zeit vom 1. April 1994 bis zum 31. Oktober 1997 war er im Bauunternehmen seines Bruders tätig. Die Beschäftigung endete wegen der Aufgabe des Betriebes. Mehrere Arbeitsversuche bei anderen Firmen blieben erfolglos.

Aufgrund eines vor dem Sozialgericht (SG) Stade geschlossenen Vergleiches legte der Beklagte mit Bescheid vom 14. November 1990 der Verletztenrente des Klägers ab dem 2. Februar 1990 in Anwendung von § 573 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) die Bruttobezüge eines 25-jährigen nach der Vergütungsgruppe BAT Va beschäftigten Bauingenieurs zugrunde. Eine mit Schreiben des Klägers vom 9. November 1999 beantragte Änderung dieses Bescheides gem. § 48 SGB X, gerichtet auf Berechnung des JAV nach einer Vergütungsgruppe, die ein beschäftigter Bauingenieur im Wege des Bewährungsaufstiegs erreiche, lehnte der Beklagte mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 18. Juli 2001 ab, da sich der JAV im Falle des Klägers nach wie vor nach § 573 Abs. 1 und 2 RVO regele. Nach diesen Vorschriften seien Entgeltsteigerungen nach Berufsjahren und über das 25. Lebensjahr hinaus nicht vorgesehen.

Mit Schreiben vom 1. März 2002 beantragte der Kläger die Rücknahme des Bescheids vom 18. Juli 2001 gem. § 44 SGB X und die Anpassung des JAV, weil er aufgrund der Unfallfolgen keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen könne. Zur Begründung bezog er sich auf ein für das Arbeitsamt erstelltes Gutachten des Dr. L vom 18. April 2002, laut dem er lediglich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen ausüben und maximal 500 m Wegstrecke zu Fuß zurücklegen könne. Eine vom Arbeitsamt im Sommer 2002 veranlasste psychologische Begutachtung habe ergeben, dass er nicht mehr in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden könne. Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Februar 2003 ab. Es seien keine neuen Gesichtspunkte bekannt geworden, die eine andere als die mit Bescheid vom 18. Juli 2001 getroffene Entscheidung rechtfertigen könnten. Die Voraussetzungen des § 573 Abs. 3 RVO lägen nicht vor.

Auf den hiergegen unter Vorlage eines psychologischen Gutachtens des Dipl. Psych. J vom 13. Mai 2002 eingelegten Widerspruch holte der Beklagte, nachdem er Kenntnis von dem im Dezember 2002 im D-krankenhaus R/W geäußerten Verdacht auf eine Erkrankung des Klägers an Multipler Sklerose (MS) erhalten hatte, das Gutachten des Neurologen PD Dr. S vom 29. Dezember 2004 ein. Dieser äußerte sich dahingehend, dass es bei dem Kläger aufgrund der seit etwa 2001 symptomatischen MS zu einer ...

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