Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit der Klage. Rechtsschutzbedürfnis. Erledigung des Verwaltungsakts. Asylbewerberleistung. Grundleistung. keine Neufestsetzung der Höhe der Geldbeträge für alle notwendigen persönlichen Bedarfe sowie für den notwendigen Bedarf trotz Vorliegens der Ergebnisse der EVS 2013. Fortschreibung nach § 3 Abs 4 AsylbLG. fehlende Bekanntgabe durch das BMAS. Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Geldbeträge
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Beschwer der beklagten Behörde liegt nicht (mehr) vor, wenn der ursprünglich angefochtene Verwaltungsakt während des Rechtsmittelverfahrens - zB wegen einer späteren Aufhebung oder eines für die Klägerseite erfolgreichen Zugunstenverfahrens - gegenstandslos geworden ist.
2. Für die Fortschreibung der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit ab 2017 spricht eine mit dem Wortlaut des § 3 Abs 4 und 5 AsylbLG zu vereinbarende Auslegung, die die Gesetzeshistorie und -systematik sowie den Sinn und Zweck der Aktualisierung der Leistungssätze und die verfassungsrechtliche Bedeutung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG) berücksichtigt.
3. Einer Fortschreibung der Geldbeträge nach § 3 Abs 1 S 8 AsylbLG und § 3 Abs 2 S 2 AsylbLG gemäß § 3 Abs 4 S 1 und 2 AsylbLG steht im gerichtlichen Verfahren nicht entgegen, dass das BMAS eine Bekanntgabe der in den Jahren 2017, 2018 und 2019 geltenden Bedarfssätze nicht vorgenommen hat.
4. Es ist noch nicht abschließend entschieden, ob die Bedarfssätze nach § 3 Abs 1 S 8 AsylbLG (in der durch Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016, BGBl I 390, juris: EBeschlAsylVfG, festgesetzten Höhe) den prozeduralen Vorgaben des BVerfG (vgl etwa Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua = BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2) zur Bestimmung eines menschenwürdigen Existenzminimums genügen.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 13. November 2018 wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit sind höhere Leistungen nach dem AsylbLG wegen der seit 2017 unterbliebenen Neufestsetzung bzw. Fortschreibung der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit von Juni bis August 2018.
Der nach eigenen Angaben 1981 geborene Kläger stammt aus Afrika und ist ungeklärter Staatsangehörigkeit. Er reiste 1998 unter der Angabe einer Staatsangehörigkeit Sierra-Leones - die Ausländerstelle des beklagten Landkreises vermutet eine Staatsangehörigkeit Guineas - nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, der Ende 1999 erfolglos blieb (Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 23. Juli 1999; Urteil des Verwaltungsgerichts Stade vom 2. Dezember 1999 - 3 A 1344/99 -). Während des Asylverfahrens war er dem Kreisgebiet des Beklagten, Gemeinde J., zugewiesen. Seit Abschluss des Verfahrens wird er wegen Passlosigkeit geduldet.
Der Kläger bezieht vom Beklagten zur Sicherung seines Lebensunterhalts Leistungen nach dem AsylbLG und bewohnt seit Juli 2017 eine von der Gemeinde J. im Auftrag des Beklagten zugewiesene Wohnung in einer Gemeinschaftsunterkunft, für die er der Gemeinde monatlich eine Nutzungsentschädigung von 200,00 €, eine Betriebskostenvorauszahlung von 90,00 € und (bis Mai 2018) einen Abschlagsbetrag für Stromkosten von 50,00 € zu entrichten hat (Einweisungsverfügung und Bescheid über die Zahlung einer Nutzungsentschädigung der Gemeinde J. vom 15. Juni 2017). Die Versorgung mit Haushaltsstrom übernimmt in der Gemeinschaftsunterkunft die Gemeinde J., die den entsprechenden Versorgungsvertrag abgeschlossen hat.
Mit Bescheid des Beklagten vom 1. Juni 2018 wurden dem Kläger für den Monat Juni 2018 Leistungen nach dem AsylbLG in Höhe von 644,00 € bewilligt, im Einzelnen Leistungen für den notwendigen und den notwendigen persönlichen Bedarf von 354,00 € und für Unterkunft und Heizung von 340,00 € unter Abzug der Stromkosten von 50,00 €. Den gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 22. August 2018 mit der Begründung zurück, dem Kläger stünden auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Leistungen nach § 3 AsylbLG seit 2017 nicht neu festgesetzt bzw. fortgeschrieben sind, keine höheren Leistungen zu. Für die Leistungshöhe seien allein die im Bundesgesetzblatt bekanntgegebenen Bedarfssätze maßgeblich, zuletzt durch Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I 390).
Auf die hiergegen am 2. September 2018 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Stade den Beklagten durch Urteil vom 13. November 2018 antragsgemäß unter Abänderung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum von Juni bis August 2018 insgesamt weitere 18,00 € zu gewähren. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dem Kläger stünde...