Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung bei Erwerbsminderung. Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Menschen. Einkommenseinsatz. Ausbildungsgeld nach §§ 104 Abs 1 Nr 2, 107 SGB 3. zweckbestimmte Einnahme iS von § 83 Abs 1 SGB 12
Leitsatz (amtlich)
1. Spricht sich der Fachausschuss einer Werkstatt für behinderte Menschen für die Aufnahme eines behinderten Menschen in die Einrichtung aus und ist der Betreffende in einer WfbM tätig, gilt er als voll erwerbsgemindert iS des Vierten Kapitels SGB 12.
2. Bei dem Ausbildungsgeld nach § 104 Abs 1 Nr 2 SGB 3 handelt es sich um einen pauschalierten Aufwendungsersatz. Es ist als zweckbestimmte Leistung im Sinne von § 83 Abs 1 SGB 12 nicht als Einkommen bei der Gewährung von Grundsicherungsleistungen zu berücksichtigen.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 5. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte erstattet der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) als bewilligt, insbesondere ohne Anrechnung eines ihr gewährten Ausbildungsgeldes von 57,00 € monatlich. Streitig ist der Zeitraum von Juni 2005 bis Februar 2006.
Die am 24. September 1984 geborene Klägerin besitzt einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 (Bescheid des Versorgungsamtes J. vom 3. November 2004, Funktionsbeeinträchtigungen: psychische Störung, Hirnleistungsstörung). Sie stand unter Betreuung. Die Agentur für Arbeit K. übernahm im Zusammenhang mit der Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben der Klägerin die Maßnahme Eingangsverfahren in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), Beginn: 3. Januar 2005 bis voraussichtlich 2. April 2005, und weiterhin die Maßnahme Berufsbildungsbereich in einer WfbM vom 3. April 2005 bis 2. April 2006 (Bescheide vom 3. November 2004 und 8. März 2005). Für die Teilnahme bewilligte die Agentur für Arbeit K. Ausbildungsgeld vom 3. Januar 2005 bis 3. Januar 2006 in monatlicher Höhe von 57,00 € (sowie die Lehrgangskosten) und für die Zeit ab 3. Januar 2006 bis 2. April 2006 monatlich 67,00 € (Bescheid der Agentur für Arbeit K. vom 23. März 2005).
Mit Antrag vom 1. November 2004 begehrte die Klägerin für die Zeit ab Januar 2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Statt der beantragten Leistungen nach dem SGB II bewilligte die für den Beklagten handelnde Samtgemeinde L. ab Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 41 SGB XII (monatliche Höhe zunächst 627,78 €).
Die Klägerin zog zum 1. Juni 2005 um in die M. in N. (betreutes Wohnen). Ab dieser Zeit begehrte sie mit Antrag vom 19. Mai 2005 Leistungen bei der Samtgemeinde O.. In den Antragsunterlagen wurde als Einkommen das Ausbildungsgeld von monatlich 57,00 € mitgeteilt, als Vermögen Sparguthaben in Höhe von 719,86 € und eine Haftpflichtversicherung mit 7,03 € Monatsbeitrag. Nach dem Mietvertrag vom 12. April 2005 war eine monatliche Kaltmiete von 255,00 € zu entrichten, als Betriebskosten wurden verlangt für Heizung 55,00 € monatlich und für die übrigen Nebenkosten 25,00 € monatlich.
Mit Bescheid vom 16. September 2005 bewilligte der Beklagte Grundsicherungsleistungen für die Klägerin für die Zeit von Juni 2005 bis Februar 2006. Vom Regelsatz von 345,00 € wurde eine Energiepauschale (Warmwasser) von 6,28 € abgezogen. An Heizkosten wurden statt der im Mietvertrag vereinbarten 55,00 € lediglich 40,00 € eingestellt. Das Ausbildungsgeld von 57,00 € wurde als Einkommen bedarfsmindernd berücksichtigt. Die Beiträge für die Haftpflichtversicherung wurden nicht berücksichtigt. Der Zahlbetrag belief sich auf 601,72 €. Für die Zeit ab Juli 2005 wurde bei ansonsten gleichbleibenden Verhältnissen eine Energiepauschale von 7,83 € abgezogen, so dass sich ein monatlicher Zahlbetrag von 600,17 € errechnete.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid vom 16. September 2006 Widerspruch ein. Sie trug zur Begründung vor, dass sich der Widerspruch gegen die volle Anrechnung des Ausbildungsgeldes als Einkommen richte. Angemessen sei nach einem Runderlass lediglich die Berücksichtigung des hälftigen Betrages. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2006 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Ausbildungsgeld sei zu Recht in voller Höhe als Einkommen berücksichtigt worden, und zwar gemäß § 82 Abs 1 SGB XII. Aus § 83 Abs 1 SGB XII ergebe sich nichts anderes. Das Ausbildungsgeld werde gemäß den §§ 97ff Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften gewährt. Es fehle jedoch an einer ausdrücklich genannten Zweckbestimmung, wie sie von § 83 Abs 1 SGB XII gefordert werde. Weiterhin habe eine Einkommensanrechnung...