Entscheidungsstichwort (Thema)
gesetzliche Unfallversicherung. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. rechtswidrige Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Berufskrankheit. Ablauf der Rücknahmefrist gem § 45 Abs 3 SGB 10. analoge Anwendung des § 48 Abs 3 SGB 10 bei Leistungserbringung. Änderung der Verhältnisse. wesentliche Verschlimmerung der Gesundheitsstörung. Klangtherapie. nicht lärmbedingter Tinnitus. Lärmschwerhörigkeit
Orientierungssatz
1. Zur Aussparung einer Leistungserbringung (hier: Tinnitus-Klangtherapie) wegen zu Unrecht anerkannter Ohrgeräusche als Folge einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit in analoger Anwendung des § 48 Abs 3 SGB 10 bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse zugunsten des Versicherten (hier: Verschlimmerung der Gesundheitsstörung iS der Behandlungsbedürftigkeit).
2. Seinem Wortlaut nach ist § 48 Abs 3 SGB 10 zwar nur auf "Leistungen" zugeschnitten, die sich in einem "Betrag" ausdrücken lassen, also auf Geldleistungen. Aufgrund des Normzwecks der Vorschrift nämlich zu verhindern, dass "Unrecht weiter wächst", ist sie aber entsprechend auch bei Ansprüchen auf andere Sozialleistungen als Geldleistung anwendbar.
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, Kosten für eine Tinnitus-Therapie zu übernehmen.
Der ... 1947 geborene Kläger war in den Jahren 1970/1971 als Bediener von Kämmereimaschinen und anschließend bis Mai 1972 als Arbeiter bei der HAG AG, B, beschäftigt. Anschließend wurde er zum Lichtbogenschweißer ausgebildet und zum E-Schweißer umgeschult. Nachdem er in den Jahren 1972 bis 1973 wiederum als Bediener von Kämmereimaschinen gearbeitet hatte, war er von September 1973 bis Oktober 1986 als Kranfahrer und Vorarbeiter bei dem Verleihunternehmen DMI W D GmbH, H, tätig. Im November 1986 wurde er als Brenner, Vorarbeiter und Schichtmeister von der Stahlwerke B GmbH übernommen.
Am 16. November 1998 erstattete der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. med. C eine "Ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit" wegen einer Lärmschwerhörigkeit beiderseits und eines Tinnitus links. - Nach Beiziehung von ärztlichen Unterlagen des betriebsärztlichen Dienstes der Stahlwerke B GmbH, von Arbeitgeberauskünften der Stahlwerke B GmbH vom 24. März 1999 sowie der DMI W D GmbH vom 23. September 1999 und von Auskünften über Mitgliedschafts- und Erkrankungszeiten der Betriebskrankenkasse (BKK) Unterweser vom 1. März 1999 sowie der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) B/B vom 12. März 1999 holte die Beklagte eine Arbeitsplatzanalyse ihres Präventionsbezirks (PB) B vom 21. April 1999 ein. Dieser führte darin aus, der Kläger sei während seiner Tätigkeiten bei der Schweißtechnik W D GmbH sowie bei der Stahlwerke B GmbH einem personenbezogenen Beurteilungspegel von mehr als 85 dB (A) ausgesetzt gewesen.
Auf Anregung ihres Beratungsarztes Dr. med. M holte die Beklagte ferner das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. med. M vom 11. Juni 1999 ein. Er führte aus, die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entwicklung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) lägen vor. Bei dem Kläger bestehe eine etwas asymmetrische Schwerhörigkeit zu Ungunsten des linken Ohres. Linksseitig sei bei 3000 Hz mit einer Lautstärke von 64 dB ein Ohrgeräusch lokalisiert worden, die Überdeckungskurve sei allerdings eher tonschwellenfern. Ton- und Sprachaudiogramm korrelierten miteinander; eine 100ige Diskrimination werde beiderseits erreicht. Die Bewertung des Hörverlustes richte sich nach dem Königsteiner Merkblatt (KM), 4. Auflage 1996. Bei einem a1-Wert von rechts 15 dB und links 20 dB liege ein "gewichtetes Gesamtwortverstehen" rechts von 252,5 und links von 230 vor; das entspreche einem Hörverlust rechts von 0 v. H. und links von 10 v. H. Bei dieser Konstellation werde das Tonaudiogramm nach Röser 1980 ausgewertet: Hörverlust rechts 0 v. H., links ebenfalls 0 v. H. Damit liege beiderseits noch Normalhörigkeit bzw. eine beginnende Schwerhörigkeit vor. Auch unter Berücksichtigung des Ohrgeräusches, das nicht eindeutig lärmbedingt sei, ergebe sich nach der Tabelle von Feldmann noch keine berufsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 v. H. - Diesem Gutachten schloss sich der Landesgewerbearzt Dr. med. H mit Stellungnahme vom 18. Juni 1999 an.
Mit Bescheid vom 6. Juli 1999 erkannte die Beklagte eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV an. Sie führte aus, Ursache für diese Erkrankung sei die Tätigkeit bei der Schweißtechnik W D GmbH und der Stahlwerke B GmbH seit dem 3. November 1986 gewesen. Als Folgen der Berufskrankheit erkannte sie an: "Beginnende berufsbedingte Hochtoninnenohrschwerhörigkeit mit einem Hörverlust, der unter Berücksichtigung der linksseitigen Ohrgeräusche jedoch das Ausmaß einer knapp geringgradigen Schwerhörigkeit noch nicht erreicht". Die Zahlung einer Verletztenrente lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, eine rentenberechtigende MdE (mindestens ...