Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. instanzielle Zuständigkeit des LSG: erstmals im Berufungsverfahren geänderte Klage. landwirtschaftliche Unfallversicherung. Beitrags- und Versicherungspflicht. Haus- und Ziergarten iS von § 123 Abs 1 Nr 1 SGB 7. Obergrenze des RVA

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Landessozialgericht ist instanziell zuständig, über eine erstmals im Berufungsverfahren geänderte Klage zu entscheiden (Abgrenzung von BSG vom 18.3.2015 - B 2 U 8/13 R = NZS 205, 558 und vom 23.4.2015 - B 5 RE 23/14 R = SozR 4-2600 § 2 Nr 20).

2. Ein Haus- und Ziergarten iS von § 123 Abs 2 Nr 1 SGB 7 liegt regelmäßig dann nicht mehr vor, wen seine Gesamtfläche 2500 qm übersteigt, ohne dass sich der Eigentümer darauf berufen kann, dass einzelne Teile des Gartens kaum oder nicht bewirtschaftet werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.01.2018; Aktenzeichen B 2 U 4/16 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 2. Oktober 2012 aufgehoben. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Klage gegen den Bescheid vom 18. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juni 2011 und gegen den Bescheid vom 28. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2015 wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge. Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 117 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger versicherungs- und beitragspflichtiges Mitglied der beklagten land- wirtschaftlichen Berufsgenossenschaft ist.

Im Jahr 1994 erwarb der Kläger gemeinsam mit seiner Ehegattin ein 4.705 qm großes, mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück in Rosengarten. Nachdem der Voreigentümer den Eigentumsübergang bei der Gartenbau-Berufsgenossenschaft (im Folgenden: BG) angezeigt hatte, prüfte die BG ihre Zuständigkeit im Hinblick auf den von den Eheleuten E. privat genutzten Hausgarten. Der Kläger gab dazu im Juli 1995 in einem von der BG  vorgefertigten “Fragebogen für Haus- und Ziergärten„ an, dass sich die Gesamtfläche des Gartens auf etwa 4.100 qm belaufe. Davon würden etwa 2.000 qm auf den “Ziergarten„ und etwa 2.100 qm auf den “Park„ entfallen. Die BG nahm daraufhin den Kläger als Unternehmer mit dem Unternehmensteil “Haus- und Ziergarten„ zum 29. Juli 1994 in ihr Unternehmerverzeichnis auf und er- teilte ihm einen Mitgliedschein; zugleich erhob sie den Beitrag für das Jahr 1994 (Bescheid vom 6. September 1995). Der Kläger legte dagegen keinen Widerspruch ein.

Mit Bescheid vom 18. April 2011 setzte die BG gegenüber dem Kläger den Beitrag für das Umlagejahr 2010 in Höhe des in ihrer Satzung vorgesehenen Mindestbeitrags von 39,00 Euro fest. Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dass eine Einbeziehung privater Gärten in die gesetzliche Unfallversicherung (GUV) nicht vorgesehen sei. Überdies werde die von der BG herangezogene Grenze von 2.500 qm nicht erreicht: Bei einer Grundstücksgröße von ca 4.700 qm seien rund 1.000 qm bebaut. Von der verbleibenden Fläche würden lediglich 2.000 qm als Garten genutzt; die restlichen Flächen seien mit ökologisch wertvollem Wildwuchs bewachsen und würden in keiner Weise bearbeitet. Die BG habe auch nicht beachtet, dass der Kläger nur Miteigentümer zur Hälfte sei. Die Heranziehung des Klägers verstoße zudem gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil zahlreiche Eigentümer weitaus größerer Grundstücke im F. Umland nicht von der BG veranlagt würden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2011 wies die BG den Widerspruch des Klägers zu- rück. Der Kläger sei als landwirtschaftlicher bzw gärtnerischer Unternehmer eines privaten Haus- und Ziergartens in der GUV versichert und als solcher beitragspflichtig. Der reine Grünflächenanteil des vom Kläger unterhaltenen Grundstücks von 3.700 qm übersteige die in der Rechtsprechung anerkannte Obergrenze von 2.500 qm deutlich. Demgegenüber komme es nicht darauf an, ob Teile des Grundstücks mit Wildwuchs nicht gepflegt werden, denn auch insoweit könnten etwa durch Wind, Schneebruch oder Schädlingsbefall - auch zum Schutz der angrenzenden Grundstücke und von Verkehrsflächen - unvorhergesehene Bewirtschaftungsmaßnahmen erforderlich werden. Da auf Grundstücken wie dem des Klägers erfahrungsgemäß nur eine geringe Arbeitsleistung erbracht werde, sei die Veranlagung in Höhe des Mindestbeitrages erfolgt.

Am 6. Juli 2011 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg Klage erhoben und dort an seinem bisherigen Vorbringen festgehalten. Ergänzend hat er dargelegt, dass keinerlei wirtschaftliche Nutzung des Gartens - etwa durch Obst- oder Gemüseanbau - erfolge.

Mit Urteil vom 2. Oktober 2012 hat das SG den Bescheid vom 18. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2011 aufgehoben. Die BG sei zwar für Unternehmen der Park- und Gartenpflege gem § 123 Abs 1 Nr 4 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) allgemein zuständig. Nach der hier anzuwendenden Ausnahmevorschrift in § 123 Abs 2 SGB VII sei ...

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