Entscheidungsstichwort (Thema)
Landwirtschaftliche Unfallversicherung. Beitragspflicht. landwirtschaftliches Unternehmen. landwirtschaftlicher Unternehmer. Ausnahme: Hausgarten iSd § 123 Abs 2 Nr 1 SGB 7. Gartengröße. Arbeitsaufwand. geringfügige Nutzung. Beitrags- und Versicherungspflicht. Landwirtschaftliches Unternehmen. Bodenbewirtschaftung. Kleingarten. Haus- und Ziergarten. Grundstücksgröße. Umfang des Arbeitsaufwands
Leitsatz (amtlich)
Auch ein Garten, der größer als 2500 qm ist, kann ein (unversicherter) Hausgarten iSd § 123 Abs 2 Nr 1 SGB 7 sein, wenn er nur in geringfügigem Umfang genutzt wird.
Orientierungssatz
Hausgärten iS von § 123 Abs 2 Nr 1 SGB 7 sind von ihrem Umfang her auf den häuslichen Bedarf ausgerichtete Kleingärten, dh zB Kräuter- und Gemüsegärten, die unmittelbar am oder um ein (Wohn-)Haus herum liegen oder sich in unmittelbarer Nähe dazu befinden.
Normenkette
SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 5a, §§ 5, 123 Abs. 1-2
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 21. April 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert des Klage- und des Berufungsverfahrens wird auf jeweils 325,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin beitragspflichtiges Mitglied in der beklagten Berufsgenossenschaft ist.
Die Klägerin ist seit 1980 Eigentümerin eines 3.600 qm großen, mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks. Von der Gesamtfläche entfallen insgesamt 310 qm auf das Haus, einen Carport und einen Schuppen. Eine westlich am Haus gelegene Terrasse umfasst 80 qm, weitere 180 qm werden von gepflasterten Wegen zum und am Haus sowie von Stellplätzen eingenommen. 55 qm entfallen auf einen Teich, eine Sandkiste sowie auf ein Kinderhaus und eine Schaukel. Ein ostwärts gelegener Lärmschutzwall umfasst 360 qm, Ziergartenflächen am Teich, am Haus und an der Zuwegung sind insgesamt 50 qm groß. Schließlich gehört zum Grundstück eine 1.200 qm große Rasenfläche und eine 1.365 qm große mit Buschwerk und Bäumen bestandene Fläche. Am 16. Juni 2004 stürzte die Klägerin beim Rosenschneiden von einer Leiter und erlitt eine Gehirnerschütterung und eine Fraktur eines Brustwirbelkörpers. Die Krankenkasse der Klägerin meldete den Unfall unter dem 5. Juli 2004 im Rahmen des Erstattungsverfahrens nach § 111 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) der Beklagten, die diesen in der Folgezeit als Arbeitsunfall anerkannte.
Mit Bescheid vom 6. September 2004 stellte die Beklagte ihre Zuständigkeit für den Haus- und Ziergarten der Klägerin ab dem 1. Januar 1999 fest. Für die Umlagejahre 1999, 2000, 2001, 2002, 2003 und 2004 ergingen Beitragsbescheide jeweils unter dem 10. November 2004 in Höhe von 31,85 bis 36,65 Euro. Die dagegen gerichteten Widersprüche vom 23. September 2004, 7. Dezember 2004 und 17. Mai 2005 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2005 zurück. Sowohl das Reichsversicherungsamt (RVA) als auch die Sozialgerichte hätten in übereinstimmender Rechtsprechung festgestellt, dass auf der Grundlage des § 123 Abs 1 Nr 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Gärten, deren Grundfläche die Mindestgröße von 0,25 ha überstiegen, der Unfallversicherungspflicht unterlägen, weil zur Pflege und Instandhaltung zwingend unfallgefährdete Arbeiten notwendig seien, die eine Unterstellung unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlich machten. Aufgrund dieser Vorgaben sei die Frage der konkreten Nutzung des Grundstücks im Einzelfall nicht mehr zu diskutieren. Die Klägerin habe bereits selbst einen Unfall bei der Pflege des Gartengrundstücks erlitten. Dieser sei als Arbeitsunfall anerkannt worden. Aufgrund dessen habe sie bereits Leistungen in Höhe von insgesamt 879,30 Euro erhalten. Die Beiträge für die Jahre 1999 bis 2004 seien korrekt festgesetzt worden.
Die Klägerin hat mit ihrer am 1. August 2005 bei dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhobenen Klage ihr Ziel, eine Aufhebung der Beitragspflicht in der Gesetzlichen Unfallversicherung zu erreichen, weiterverfolgt. Sie sei Hausfrau und nutze ihr Grundstück nur für Freizeitzwecke. Das gemähte Gras und die abgeschnittenen Rosen dienten nicht der Gewinnerzielung. Das gelegentliche Mähen des Rasens und das Beschneiden der Rosen stelle keine beitragspflichtige unternehmerische Tätigkeit dar. Die Beklagte habe sich nicht einmal die Mühe gemacht, Lage und Beschaffenheit des Grundstücks anzusehen. Weder sie, die Klägerin, noch ihr Ehemann bearbeiteten planmäßig den Boden, um Bodengewächse für den eigenen Verbrauch aufzuziehen und abzuernten; es werde auch kein Gemüsegarten unterhalten; ebenso wenig werde Obst angebaut. Soweit hin und wieder die Wiesenfläche gemäht werde, geschehe dies nicht, um den Ertrag, etwa für die Fütterung von Kaninchen, zu nutzen. Die Einbeziehung in die gesetzliche Unfallversicherung allein unter dem Kriterium der Grundstücksgröße sei nicht nur mit Blick auf Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG) unverhältnismäßig, ...