Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Härtefallregelung. vollständige Befreiung. Belastungsgrenze. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Die Bestimmung der Belastungsgrenze iS der Härtefallregelung nach § 61 Abs 2 Nr 1 SGB 5 verstößt weder gegen Art 3 Abs 1 GG noch gegen Art 6 Abs 1 GG.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine Krankenversorgung ohne Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen bzw mit ermäßigten Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen.
Die 1956 geborene Klägerin ist pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder. Nach ihren eigenen Angaben ist sie an Krebs erkrankt und bedarf ärztlicher Hilfe. Nach ihrer Einlassung verfügt ihr Ehemann über ein Brutto-Einkommen in Höhe von 5.000,-- DM monatlich, sie selbst über monatlich 2.000,-- DM und außerdem bezieht sie Kindergeld in Höhe von 1.090,-- DM. Für September 1997 gab sie ein eigenes Brutto-Einkommen in Höhe von 1.500,-- DM bzw ein Netto-Einkommen in Höhe von 1.003,-- DM (Arbeitslosengeld) an. Mit Wirkung vom 1. Januar 1998 bezieht sie rückwirkend seit dem 1. März 1997 Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit bis zum 31. Dezember 1998 in Höhe von brutto 1.883,37 DM bzw netto 1.741,18 DM monatlich.
Am 6. Februar 1996 beantragte die Klägerin bei der Beklagten vollständige Befreiung von Zuzahlungen bzw die Übernahme von Fahrkosten und Vertragskosten bei Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen gemäß § 61 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V), weil eine Familie mit vier oder mehr Kindern generell von der Zuzahlungspflicht befreit sein müsse. Mit Bescheid vom 19. Februar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juni 1996 lehnte die Beklagte den Befreiungsantrag ab.
Hiergegen hat die Klägerin am 2. Juli 1996 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und zur Begründung insbesondere ausgeführt: Familien seien gegenüber Kinderlosen benachteiligt, weil die familienbedingten finanziellen Belastungen durch die gegenwärtige Härtefallregelung nicht ausreichend berücksichtigt seien. Die gesetzlichen Krankenkassen müßten zu einer Abstaffelung nach der Zahl der Kinder verpflichtet werden, wonach ab dem 4. Kind keine Zuzahlungspflicht und Eigenbeteiligung mehr bestehen dürften.
Während des Klageverfahrens hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 2. Mai 1997 am 3. Mai 1997 beim SG Hannover -- S 11 Kr 156/97 eR -- den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung beantragt, daß sie auf Anraten ihres Hausarztes Aufbauspritzen erhalten müsse, für die sie die Zuzahlungs- bzw Erstattungssumme nicht aufbringen könne. Sie sei arbeitslos und habe vier kleine Kinder zu versorgen. Mit angefochtenem Beschluß vom 7. Juli 1997 hat das SG den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung zurückgewiesen, daß der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Befreiung von Zuzahlungen bzw auf Übernahme von Fahrtkosten und Vertragskosten für die Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen nicht zustehe. Die für die Klägerin zu berücksichtigenden Einkünfte überschritten den Grenzbetrag für die Annahme einer unzumutbaren Belastung auch wenn dieser Betrag nach der Zahl der Familienangehörigen gestaffelt sei (Beschwerdeverfahren LSG Niedersachsen L 4 Kr 107/97 eR).
Mit Gerichtsbescheid vom 7. Juli 1997 hat das SG Hannover die Klage abgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt: Die von der Klägerin angestrebte Staffelung nach der Zahl der Kinder sei bereits gesetzlich in § 61 Abs 4 SGB V geregelt. Unter Zugrundelegung dieser Staffelung betrage die Grenze der unzumutbaren Belastung für das Jahr 1997 4.056,50 DM. Die Klägerin läge mit ihren Einkünften und denen ihrer Familie selbst dann noch oberhalb dieser Grenze, wenn ihre eigenen Einnahmen unberücksichtigt blieben und nur noch das Einkommen ihres Ehemannes in Höhe von 5.000,-- DM zu berücksichtigen sei. Anhaltspunkte dafür, daß die Staffelung einer unzumutbaren Belastung in § 61 SGB V verfassungswidrig sei, lägen nicht vor. Zur näheren Ausgestaltung der gestaffelten Einkommensgrenze stehe dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu, dessen Grenzen hier nicht überschritten seien.
Gegen diesen ihr am 11. Juli 1997 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14. Juli 1997 Berufung beim Landessozialgericht Niedersachsen -- LSG Nds -- eingelegt und zur Begründung vor allem ausgeführt: Sie sei nicht krankenversorgt, weil sie die hohen Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen nicht aufbringen könne, obgleich sie wegen ihrer Krebserkrankungen in den Jahren 1994 und 1996 dringend ärztlicher Hilfe bedurft habe. Sie lebe mit ihrer Familie unterhalb der Sozialhilfegrenze von 798,-- DM monatlich pro Familienmitglied. Die Härtefallregelung beinhalte weder die gesamte Summe aller Einzelzahlungen im Falle eines Sozialhilfebezuges ihrer Familie noch das sozio-kulturelle Einkommen. Eine Familie mit sechs Personen dürfe über ein Einkommen bis zu 2.300,-- DM netto = 4.050,-- DM brutto verfügen, um von Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen befreit zu werden. Sozialhilfeempfänger dürften nich...