Entscheidungsstichwort (Thema)
Entziehung von Grundsicherungsleistungen bei verweigerter Rentenantragstellung
Orientierungssatz
1. Hilfebedürftige i. S. von § 9 SGB 2 sind bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres nicht verpflichtet, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Damit wollte der Gesetzgeber einheitlich für alle Hilfebedürftigen eine Altersfestlegung, ab der sie eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen in Anspruch zu nehmen haben, regeln.
2. Eine Ausnahme besteht für die Leistungsempfänger, die die Regelvoraussetzungen des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 allein deshalb nicht erfüllen, weil sie nicht bereit sind und nicht alle Möglichkeiten nutzen, ihre Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer Arbeit zu beenden, wenn die Vollendung des 58. Lebensjahres und die Entstehung des Leistungsanspruchs vor dem 1. 1. 2008 liegen.
3. Der Leistungsträger des SGB 2 kann nach § 5 Abs. 3 S. 1 SGB 2 den Rentenantrag selbst stellen, wenn der Bezieher von Grundsicherungsleistungen die Antragstellung verweigert. Bereits die Aufforderung zur Antragstellung bedarf aber einer Ermessensentscheidung des Grundsicherungsträgers. Bei deren Fehlen ist die Einstellung der Grundsicherungsleistungen rechtswidrig.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 11.11.2009 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Stadt C gewährt der am 00.00.1946 geborenen Antragstellerin im Anschluss an den Bezug von Sozialhilfe seit dem 01.01.2005 Grundsicherungsleistungen für Erwerbsfähige nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit formlosem Schreiben vom 20.08.2009 wies die Stadt C die Antragstellerin darauf hin, dass Hilfebedürftige, die das 63. Lebensjahr vollendet haben, vorrangig einen Rentenantrag wegen Alters stellen müssten, auch wenn jährlich 3,6 % Abschläge zu erwarten seien. Im Hinblick auf die Vollendung ihres 63. Lebensjahres im Oktober 2009 wurde sie aufgefordert, die Altersrente ab dem 01.01.2009 zu beantragen. Hiergegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein und hat am 07.10.2009 beim Sozialgericht (SG) Dortmund um vorläufigen Rechtsschutz gegen die Aufforderung zur Rentenantragstellung nachgesucht. Sie hat geltend gemacht, da sie am 01.01.2008 älter als 58 Jahre alt gewesen sei, werde sie von der gesetzlichen Neuregelung nicht erfasst und sei nur verpflichtet, eine abschlagsfreie Rente zu beantragen.
Mit Beschluss vom 11.11.2009 hat das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20.08.2009 angeordnet. Es hat ausgeführt, die Aufforderung zur Rentenantragstellung stelle einen Verwaltungsakt dar, gegen den der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung habe. Diese sei jedoch anzuordnen, weil die Antragstellerin unter die Bestandsschutzregelung des § 65 Abs. 4 SGB II falle. Der von dieser Bestimmung erfasste Personenkreis sei nur zur Beantragung einer ungeminderten Altersrente verpflichtet. Ausreichend für die Anwendung der Bestandsschutzregelung sei die Vollendung des 58. Lebensjahres und die Entstehung des Leistungsanspruchs vor dem 01.01.2008.
Mit ihrer dagegen eingelegten Beschwerde rügt die Antragsgegnerin, entgegen der Auffassung des SG könne die Bestandsschutzregelung des § 65 Abs. 4 SGB II auf die Antragstellerin keine Anwendung finden, weil hierdurch nur solche Leistungsempfänger erfasst würden, die die Regelvoraussetzungen des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II allein deshalb nicht erfüllten, weil sie nicht arbeitsbereit seien und nicht alle Möglichkeiten nutzten und nutzen wollten, ihre Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer Arbeit zu beenden. Eine solche Einschränkung ihrer Leistungsbereitschaft habe die Antragstellerin jedoch zu keinem Zeitpunkt erklärt, weswegen sie sich auch nicht auf einen Vertrauensschutz berufen könne.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Das SG hat zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Aufforderung zur Rentenantragstellung angeordnet, wobei der Hochsauerlandkreis zulässiger Weise jedenfalls im Wege der gewillkürten passiven Prozessstandschaft als Antragsgegner am Verfahren beteiligt worden ist (vgl. Beschl. des Senats v. 20.02.2006 - L 19 B 118/05 AS ER)
Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die streitige Aufforderung ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X, weil hierdurch die Feststellung getroffen wird, dass die Leistungsempfängerin zu einer bestimmten Handlung verpflichtet ist und der Verstoß gegen diese Pflicht rechtliche Nachteile auf dem Gebiet des öffentlichen Leistungsrechts nach sich ziehen kann (einhellige Meinung, vgl. BSG SozR 3 - 4...