Entscheidungsstichwort (Thema)
Auferlegung von Kosten gegenüber der Behörde durch das Sozialgericht wegen Unterlassung notwendiger Ermittlungen im Verwaltungsverfahren
Orientierungssatz
1. Das Gericht kann nach § 192 Abs. 4 SGG der Behörde ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass die Behörde erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt worden sind. Erkennbar sind solche Ermittlungen dann, wenn sich der Behörde deren Notwendigkeit ausgehend von den gesetzlichen Vorschriften und ihrer höchstrichterlichen Auslegung bzw. von einem vertretbaren Rechtsstandpunkt aus erschließen musste.
2. Bei der ärztlich befürworteten Gewährung einer stationären medizinischen Reha-Maßnahme liegt es in der Natur der Sache, dass nicht aufgrund von zurückliegenden Befunden abschließend entschieden werden kann, ob der aktuelle Gesundheitszustand die vorzeitige Gewährung einer stationären Maßnahme der medizinischen Rehabilitation erfordert. Vielmehr ist in einem solchen Fall eine aktuelle körperliche Untersuchung durch den Versicherungsträger erforderlich.
3. Ist aus der Schwere der Erkrankung bzw. aus den vorhandenen ärztlichen Unterlagen erkennbar, dass eine vorzeitige Wiederholung der Maßnahme erforderlich ist, so ist eine Entscheidung nach Aktenlage nicht erforderlich. Vielmehr ist zur Entscheidung des Versicherungsträgers die körperliche Untersuchung des Betroffenen erforderlich. Eine später vom Sozialgericht im Klageverfahren durchgeführte medizinische Sachaufklärung spricht genau für diese Sichtweise.
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.6.2013 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die statthafte und auch ansonsten zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht (SG) der Beklagten die Kosten des Gutachtens der gerichtlichen Sachverständigen Nervenärztin Dr. M aus E (jedenfalls) in Höhe von EUR 813,07 (= auf der Grundlage der Liquidation der Sachverständigen vom 28.2.2013 am 13.3.2013 von der Landeskasse angewiesener Betrag) auferlegt.
Das Gericht kann der Behörde ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass die Behörde erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt wurden, § 192 Abs 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Erkennbar sind solche Ermittlungen nur dann, wenn sich der Behörde deren Notwendigkeit ausgehend von den gesetzlichen Bestimmungen und ihrer höchstrichterlichen Auslegung bzw. von einem vertretbaren Rechtsstandpunkt aus erschließen musste (vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. Kommentar zum SGG. 10. Aufl. 2012, Rdnr. 18e zu § 192; Landessozialgericht Sachsen, Beschluss vom 18.1.2011, Aktenzeichen (Az) L 2 U 166/10 B; Landessozialgericht Niedersachsen, Beschluss vom 14. April 2011, Az L 7 AS 426/10 B; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. Oktober 2011, Az L 4 R 396/11 B). Die seit dem 1.4.2008 geltende Regelung soll im gerichtlichen Verfahren entstandene Kosten "zurückverlagern", die den Justizhaushalten durch unterlassene Ermittlungen des Leistungsträgers im Verwaltungsverfahren entstehen (Bundestags-Drucksache 16/7716 Seite 23). Zu Recht geht das SG davon aus, dass die Voraussetzungen dieser Kostenregelung vorliegen.
Die Beklagte hat im Verwaltungsverfahren erkennbare und notwendige Ermittlungen unterlassen, als sie den Antrag des Klägers auf Gewährung einer vorzeitigen Maßnahme der stationären medizinischen Rehabilitation ablehnte, ohne den aktuellen Gesundheitszustand des Klägers näher zu ermitteln und den Sachverhalt unter Hinzuziehung sozialmedizinischen Sachverstands zu bewerten. Es liegt bei einer ärztlich befürworteten vorzeitigen Gewährung einer solchen Maßnahme in der Natur der Sache, dass nicht auf Grund von fast ein Jahr zurückliegenden Befunden abschließend entschieden werden kann, ob der aktuelle Gesundheitszustand die vorzeitige Gewährung eine stationären Maßnahme der medizinischen Rehabilitation erfordert. Die Gestaltung des Vordrucks der Beklagten, auf dem sich die Beurteilung des Internisten und Sozialmediziners Dr. T vom Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten in C vom 19.8.2011 befindet, lässt zu Recht erkennen, dass die Beurteilung "nach Aktenlage" die Ausnahme sein soll, weil dazu am unteren Ende des Vordrucks eine besondere Rechtfertigung erfragt wird. Die Angabe des Dr. T ("Verwaltungsseitig erwünscht") lässt vermuten, dass diesem Arzt das Regel-Ausnahme-Verhältnis bewusst war und er ausschließlich wegen einer Vorgabe durch den zuständigen Sachbearbeiter (und gerade nicht, weil aus medizinischer Sicht bereits nach Aktenlage eine abschließende Beurteilung möglich ist) ausnahmsweise von einer körperlichen Untersuchung abgesehen hat. Offenbar war ihm der (aus den Akten nicht erkennbare, also wohl im persönlichen Gespräch formulier...