Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittelerbringer. Sozialrechtsweg. einstweiliger Rechtsschutz gegen die Zuschlagserteilung der Krankenkasse in einem Vergabeverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. In vergaberechtlichen Angelegenheiten des gesetzlichen Krankenversicherungsrechts ist der Sozialrechtsweg eröffnet.

2. Die Beurteilung einer Zuschlagsuntersagung richtet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs 2 S 1 SGG (Sicherungsanordnung).

3. Überragende wirtschaftliche Interessen einer Krankenkasse an einer Zuschlagserteilung sind zu bejahen, wenn ihr bei ausbleibendem Zuschlag ein monatlicher Schaden von bis zu 150.000 Euro droht, während dem für zwei Jahre lediglich eine Umsatzerwartung des benachteiligten Leistungserbringers in Höhe von etwa 4.000 Euro gegenübersteht.

 

Orientierungssatz

1. Zur Glaubhaftmachung, ob aus dem Recht der Leistungserbringung nach dem SGB 5 ein Anspruch hergeleitet werden kann, Zuschläge zu den nach § 127 Abs 1 SGB 5 zu schließenden Verträgen zu verhindern, sind umfangreiche Ermittlungen erforderlich, die durch die summarische Prüfung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht zu klären sind. Deshalb bleiben sie dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

2. Über den Anspruch auf Zuschlagsuntersagung nach dem Wettbewerbsrecht (§§ 19- 21 GWB) oder wegen Verletzung europäischen Kartellrechts nach den Art 81ff EG ist nur durch umfangreiche Ermittlungen im Hauptverfahren, nicht aber im Eilverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu entscheiden.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11. Februar 2008 geändert. Der Eilantrag der Antragstellerin vom 30. Oktober 2007 zur Ausschreibung der Antragsgegnerin (Vergabenummer: 2007/S 195-237200), nur noch die Lose 4 und 5 betreffend, wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten in beiden Rechtszügen. Der Streitwert wird auf 2.000,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Zuschlagserteilung in einem Vergabeverfahren, das die Ausschreibung eines Vertrags zur Hauszustellung und Lieferung von Inkontinenzartikeln für Versicherte der Antragsgegnerin (AGn.) in nur noch zwei Losen im Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) betrifft.

Die Antragstellerin (AStn.) betreibt in E ein Sanitätshaus und ist als Orthopädietechnikbetrieb gemäß § 126 Abs 1 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) Vertragspartnerin der AGn. (Zulassungsbescheid vom 12.7.2005). Die Zulassung umfasst ua die Abgabe von Inkontinenzhilfen an Versicherte der AGn ... Durch Bekanntmachung vom 10.10.2007 (Europäische Gemeinschaft - Lieferaufträge - offenes Verfahren 2007/S 195-237200) schrieb die AGn. den Abschluss einer Rahmenvereinbarung nach § 127 Abs 1 SGB V in der Fassung (idF) des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26.03.2007 (BGBl. I S. 378) - neue Fassung (nF) - zur Versorgung ihrer Versicherten mit aufsaugenden Inkontinenzartikeln und Krankenunterlagen europaweit aus. Die Ausschreibung erfolgte in 20 Losen, wobei die Lose 4 bis 8 auf das Bundesland NRW bezogen waren. Schlusstermin für den Eingang der Angebote bzw Teilnahmeanträge war der 19.11.2007 - 24.00 Uhr (Ziff IV. 3.4 der Bekanntmachung), die Bindungsfrist der Angebote reichte bis zum 7.1.2008 (Ziff IV.3.7 der Bekanntmachung).

Die AStn. forderte die Vergabeunterlagen nicht selbst bei der AGn. an, sondern beschaffte sich diese außerhalb der unter Ziff IV.3.3 der Bekanntmachung genannten Bedingungen. Mit Schreiben vom 23.10.2007 forderte sie die AGn. auf, ihr gegenüber innerhalb einer Frist von drei Werktagen klarzustellen, dass aufgrund dieser Ausschreibung kein Zuschlag erteilt werde, denn sie sehe sich durch die Leistungsbeschreibungen und die Vertragsbestimmungen an der Abgabe eines Angebotes gehindert. Die Leistungs- und Vergabebedingungen benachteiligten sie unangemessen und berücksichtigten nicht die gesetzlichen Bestimmungen, wonach sie unter gewissen Voraussetzungen auch ohne Zuschlag berechtigt sei, eine Versorgung von Versicherten der AGn. mit Inkontinenzartikeln weiterhin durchzuführen. Mit Schreiben vom 26.10.2007 lehnte die AGn. eine inhaltliche Befassung mit diesem Vorbringen ab, denn die AStn. habe die Vertragsunterlagen nicht ordnungsgemäß angefordert. Daher sei diese im vorliegenden Vergabeverfahren bereits keine Bewerberin; es fehle ihr das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

Am 30.10.2007 hat die AStn. vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, der AGn. bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu untersagen, in dem Vergabeverfahren über einen Vertrag zur Hauszustellung und Lieferung von Inkontinenzartikeln (2007/S 195-237200) einen Zuschlag für die im Bundesland NRW gebildeten Lose 4 bis 8 zu erteilen. Die Antragsgegnerin hat den beschrittenen Rechtsweg gerügt und beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Mi...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge