Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrags(zahn)ärztliche Versorgung. Zulassungsausschuss. Altersgrenze. Ende der Zulassung wegen Vollendung des 68. Lebensjahres. aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage. einstweiliger Rechtsschutz. Anwendung des AGG im Vertrags(zahn)arztrecht. Anwendbarkeit und Auslegung europäischen Rechts
Orientierungssatz
1. Die Feststellung der Zulassungsgremien, dass die Zulassung wegen Vollendung des 68. Lebensjahres geendet habe, hat nur deklaratorische Bedeutung, da gemäß § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V die Zulassung des Vertrags(zahn)arzts kraft Gesetzes endet. Widerspruch und Klage gegen eine solche feststellende Entscheidung berühren nicht den materiell-rechtlichen Eintritt der Beendigung der Zulassung kraft Gesetzes. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und/oder Klage gegen einen solchen Bescheid nach §§ 86a Abs 3 oder § 86b Abs 1 SGG kommt deshalb nicht in Betracht. Einstweiliger Rechtsschutz kann nur nach § 86b Abs 2 SGG im Wege der sogenannten Regelungsanordnung gewährt werden (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.05.2005 - L 10 B 10/04 KA ER -, Breithaupt 2005, 972; LSG Hessen, Beschluss vom 15.12.2004 - L 7 KA 412/03 ER).
2. Gegen die Bestimmung des § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V bestehen aus verfassungsrechtlicher Sicht keine durchgreifenden Bedenken (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 31.03.1998 - 1 BvR 2167/93, 1 BvR 2198/93 - SozR 3-2500 § 95 Nr 17 und Beschluss vom 04.10.2001 - 1 BvR 1435/01-; BSG, Urteil vom 25.11.1998 - B 6 KA 4/98 R - SozR 3-2500 § 95 Nr 18 und Beschlüsse vom 27.04.2004 - B 6 KA 106/03 B -, 27.04.2005 - B 6 KA 38/04 B).
3. Die Altersgrenze erscheint als verteilungspolitisches Instrument zur Erhaltung der Berufschancen der nachrückenden Generationen von Ärzten gerechtfertigt.
4. Die Unanwendbarkeit der Bestimmung des § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V kann nicht aus einem Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung hergeleitet werden. Aus dem AGG ergeben sich keine Rechtsfolgen bei unzulässiger Diskriminierung in diesem Bereich. Auch kommt ein Anwendungsvorrang des AGG gegenüber dem SGB V nicht in Betracht.
5. Gegen die Bestimmung des § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V bestehen auch aus EG-rechtlicher Sicht keine Bedenken. Das Ausscheiden von Vertragsärzten aus der Versorgung mit Vollendung des 68. Lebensjahres ist eine durch Art 6 der Richtlinie 2000/78/EG zugelassene Ungleichbehandlung wegen Alters. Angesichts des weiten Spielraums, der den Mitgliedstaaten bei der Festlegung von Altersgrenzen nach der Rechtsprechung des EuGH zukommt, ist die Altersgrenze für Vertragsärzte durch gewichtige gesundheitspolitische und beschäftigungspolitische Zielsetzungen gerechtfertigt. Sie dient der Erhaltung von Zulassungschancen junger Ärzte.
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 27.04.2007 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über eine weitere Zulassung des Antragstellers (Ast) als Vertragszahnarzt nach Vollendung seines 68. Lebensjahres.
Der am 00.00.1939 geborene Ast war seit Juli 1970 zunächst in E, seit dem 01.04.1974 in V zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen.
Mit Beschluss vom 28.02.2007 stellte der Zulassungsausschuss für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe fest, dass die Zulassung des Ast gemäß § 97 Abs. 7 5. Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i. V. m. § 28 Abs. 1 Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte (ZV-Zahnärzte) mit Wirkung vom 01.04.2007 ende. Mit seinem Widerspruch machte der Ast geltend, der Antragsgegner (Ag) sei selbst verpflichtet, § 95 Abs. 7 SGB V nicht anzuwenden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe entschieden, dass das Diskriminierungsverbot wegen Alters Ausfluss des Gleichbehandlungsgebotes sei, das als fundamentales Grundrecht in der Vertragsstaaten enthalten sei und sich nicht nur aus der Richtlinie 2000/78/EG (Amtsblatt L 303/16 vom 02.12.2000) ergebe. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) habe jede staatliche Gewalt den Unanwendbarkeitsanspruch des Europarechts zu beachten, das die Anwendung nationaler Normen ausschließe, die im Widerspruch zu europarechtlichen Regelungen stünden. Soweit das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner bisherigen Rechtsprechung die Zulässigkeit von Altersgrenzen damit begründet habe, dass Ältere nach allgemeiner Lebenserfahrung mehr Fehler als Jüngere machten, sei diese Annahme falsch und widerspreche Erkenntnissen der modernen Alterswissenschaften. Dieser Aspekt sei somit kein sachlicher Grund für die Altersgrenze. Nachdem für die Vertragszahnärzte keine Zulassungsbeschränkungen mehr bestünden, könne die Altersgrenze nur unter dem Gesichtspunkte der Beschäftigungspolitik gerechtfertigt sein. Insoweit bestünden Bedenken gegen eine Bevorzugung jüngerer Zahnärzte, zumal durch die Altersgrenzenregelung die Vererbbarkeit des vom Zahnarzt erarbeiteten Wertes der Praxis verhinde...