Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem Rechtsstreit über die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung

 

Orientierungssatz

1. Hinreichende Erfolgsaussicht zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist dann gegeben, wenn der Ausgang eines Verfahrens von einer schwierigen, bislang nicht geklärten Rechtsfrage abhängt.

2. Macht der Kläger geltend, die Ermittlung des Regelbedarfs für einen Zeitraum vor dem 1. 1. 2011 entspreche nicht den Anforderungen, die das BVerfG dem Gesetzgeber in seiner Entscheidung vom 9. 2. 2010 aufgegeben habe, so handelt es sich dabei um die bisher nicht geklärte Rechtsfrage, ob das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB 2 und des SGB 12 die vom BVerfG aufgezeigten Anforderungen erfüllt.

3. Inwieweit der Gesetzgeber die Anforderungen des BVerfG erfüllt hat, ist umstritten. Begehrt der Kläger die Bewilligung einer höheren Regelleistung über den derzeitigen gesetzlichen Regelbedarf hinaus, mit der Begründung, die Ermittlung des Regelbedarfs entspreche nicht den Anforderungen des BVerfG in dessen Entscheidung vom 9. 2. 2010, so ist ihm bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen PKH zu gewähren.

4. Der Anspruch auf Gewährung von PKH besteht bei Parallelität der Fallgestaltung für denselben Leistungsberechtigten nur für den ersten Bewilligungszeitraum.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.08.2011 geändert. Dem Kläger wird für das Klageverfahren ab Antragstellung (02.03.2011) Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S aus E beigeordnet.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet.

Nach § 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Die abschließende Klärung der Sach- und Rechtslage darf nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren, in dem nur eine summarische Prüfung erfolgt, vorverlagert werden. Letzte Zweifel an der rechtlichen Beurteilung müssen nicht ausgeschlossen sein, denn eine endgültige und abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten ist in der Regel weder möglich noch notwendig (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 73a Rn. 7, 7a, 7b). Es reicht für die Bejahung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (BSG, Urteil vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R). Diese ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn der Rechtsstandpunkt des Klägers vertretbar ist und die behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen nachweisbar erscheinen (Hdb SGG - Udsching, VI Rn. 60; Leitherer, a.a.O., Rn. 7).

Die Klage vom 18.02.2011 gegen den Bescheid vom 14.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2011 und des Änderungsbescheides vom 26.03.2011 hat hinreichende Aussicht auf Erfolg. Hinreichende Erfolgsaussicht ist auch dann anzunehmen, wenn der Ausgang eines Verfahrens von einer schwierigen, bislang nicht geklärten Rechtsfrage abhängt. Eine Erfolgsaussicht in diesem Sinne ist auch nicht deswegen zu verneinen, weil die Klärung der Verfassungskonformität der Neuregelung des Regelbedarfs nicht die Verurteilung des Leistungsträgers zur Gewährung eines höheren, genau bezifferten Regelbedarfs bedingt (so LSG NRW, Beschluss vom 15.12.2011 - L 2 AS 1928/11 B). Dies ergibt sich auch mittelbar aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ([BVerfG], Urteile vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09). Denn das BVerfG bestimmt genau in dieser Konstellation, dass "die Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Vorschriften und ihrer Nachfolgeregelungen bei Kostenentscheidungen zugunsten der klagenden Hilfebedürftigen angemessen zu berücksichtigen seien, soweit dies die gesetzlichen Bestimmungen ermöglichen" (BVerfG, a.a.O., Rn. 219). Die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage ist somit davon abhängig, ob eine gute Möglichkeit des Obsiegens in Bezug auf die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit besteht (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.10.2011 - L 7 AY 3538/11 B; Düring in Jansen, SGG, § 73a Rn. 12).

Diese gute Möglichkeit des Obsiegens ist unter Berücksichtigung des Vortrages des Klägers, die Ermittlung des Regelbedarfs entspreche nicht den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben habe, für den streitigen Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 zu bejahen. Es handelt sich nach Auffassung des Senats um die bisher nicht geklärte Rechtsfrage, ob das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG SGB II, SGB XII Än...

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