Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungspflicht des zuerst angegangenen Sozialleistungsträgers. Kompetenzkonflikt zwischen Grundsicherungs- und Sozialhilfeträger
Orientierungssatz
1. Nach der Rechtsprechung des BSG sind sowohl für Arbeitsuchende als auch für Personen, die in Ermangelung von Erfolgsaussichten bei der Arbeitsuche nicht über eine Freizügigkeitsberechtigung verfügen, zumindest Sozialhilfeleistungen im Ermessensweg zu erbringen, wenn sie über einen verfestigten Aufenthalt von mehr als sechs Monaten verfügen (BSG Urteil vom 20. 1. 2016, B 14 AS 15/15 R).
2. Unterliegt der Antragsteller dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 nicht, weil er auch über ein anderweitiges Aufenthaltsrecht als dasjenige der Arbeitsuche verfügt, so ist der Grundsicherungsträger für die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zuständig. Unterliegt er dagegen dem Leistungsausschluss, so ist der Sozialhilfeträger bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen für die Erbringung von Sozialhilfeleistungen zuständig.
3. Der zuerst angegangene Leistungsträger ist nach § 43 SGB 1 zur Leistung verpflichtet. Eine bereits ergangene Ablehnungsentscheidung steht einer Vorleistungspflicht nach § 43 SGB 1 nicht entgegen, solange die Ablehnungsentscheidung noch nicht bestandskräftig ist.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.04.2016 geändert. Der Antragsgegner wird auch verpflichtet, Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.09.2015 bis zum 10.04.2016 zu zahlen. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt L, L, beigeordnet.
Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
I.
Im Beschwerdeverfahren ist noch die Übernahme von Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.09.2015 bis zum 10.04.2016 streitig.
Mit rechtskräftigem Beschluss vom 06.11.2015 (S 40 AS 3544/15 ER) hatte das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellern Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs vom 16.09.2015 bis 15.03.2016 zu zahlen. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs ab dem 17.03.2016 zu zahlen. Der Antragsgegner hat mit Bescheid vom 31.05.2016 für die Zeit ab 11.04.2016 den Antragstellern vorläufig Regelleistung und Unterkunftskosten bewilligt.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht mit dem angefochtenen Beschluss den Erlass einer einstweiligen Anordnung auch in Bezug auf den Bedarf für Unterkunft und Heizung abgelehnt.
Im Gegensatz zur Meinung des Antragsgegners ist der Bedarf für Unterkunft und Heizung in der Zeit vom 01.09.2015 bis 15.03.2016 bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen. Die Antragsteller haben ihren ursprünglichen Antrag mit Schriftsatz vom 19.04.2016 entsprechend erweitert und das Sozialgericht hat in dem angefochtenen Beschluss ausdrücklich auch über die Unterkunftskosten für die Zeit vor der Antragstellung entschieden.
Zwar ist der Anspruch auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Unterkunftskosten für die Zeit vom 01.09.2015 bis zum 15.03.2016 bereits Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens S 40 AS 3544/15 ER gewesen und vom Sozialgericht mit Beschluss vom 06.11.2015 abgelehnt worden. Dies steht einer zusprechenden Entscheidung durch den Senat im jetzt anhängigen Verfahren indes nicht entgegen. Zwar sind auch Beschlüsse im einstweiligen Rechtsschutz der formellen Rechtskraft zugänglich und ein erneuter Antrag unzulässig, wenn er den abgelehnten Antrag lediglich wiederholt (LSG Berlin, Beschluss vom 26.10.2004 - L 15 B 88/04 KR ER). Die materielle Rechtskraft einer Eilentscheidung erstreckt sich jedoch nur auf den Streitgegenstand des Eilverfahrens, nicht also auf das materielle Recht als solches, sondern nur auf dessen Sicherung. Ist eine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten und stellt sich das Sicherungsbedürfnis nunmehr anders dar als zunächst angenommen, ist damit eine erneute Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch im Wege des Eilverfahrens nicht ausgeschlossen. Insbesondere bei der Verneinung des Anordnungsgrundes können neue Tatsachen eine neue Entscheidung über die Sicherung des geltend gemachten Anspruchs erfordern. Vorliegend ist eine wesentliche Änderung der Sachlage dadurch eingetreten, dass die Antragsteller mit Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung des Vermieters nunmehr glaubhaft gemacht haben, dass Mietschulden in beträchtlicher Höhe (3142, 99 EUR) aufgelaufen sind, die nicht aus Eigenmitteln bestritten werden können und ihre Unterkunft gefährden.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). D...