Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen einer Beweiserleichterung bei beantragten Leistungen des Opferentschädigungsrechts

 

Orientierungssatz

1. Die abgesenkten Beweisanforderungen zum Nachweis einer Gewalttat nach § 10a OEG i. V. m. § 15 KOVVfG kommen nicht zur Anwendung, wenn keine unverschuldete Beweisnot des Antragstellers zu Ansprüchen der Opferentschädigung vorliegt (BSG Urteil vom 13. 12. 1994, 9/9a RV 9/92).

2. Im Übrigen müssen die eigenen Angaben des Antragstellers zur Anwendung der Beweiserleichterung im Opferentschädigungsrecht glaubhaft sein.

3. Spricht zudem ein erkennbares Eigeninteresse des Antragstellers an Rentenleistungen nach dem OEG, so ist die Gewährung von Opferentschädigung bei unzureichender Glaubhaftmachung zu versagen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 03.03.2021; Aktenzeichen B 9 V 32/20 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 27.01.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Gestritten wird um Leistungen nach dem OEG i.V.m. dem BVG wegen mutmaßlicher körperlicher und sexueller Übergriffe in einem Kinderheim.

Der am 00.00.1954 geborene Kläger wuchs in mehreren Kinderheimen auf. Ab dem 26.02.1957 lebte er im G-Stift / Evangelische Kinderheimstätte in I. Da er aus Sicht des Heimes wegen seines Verhaltens dort nicht mehr tragbar war, kam er am 26.09.1967 in das K-Stift in O / Psychiatrisches Landeskrankenhaus für Kinder und Jugendliche. Am 10.10.1972 wurde er in das Landeskrankenhaus C verlegt. Der dort tätige Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L diagnostizierte 1975 in einem Gutachten für das Amtsgericht M eine geistige Unterentwicklung, die in N noch die Stellung einer Debilität gehabt habe. Trotz einer zwischenzeitlichen mäßigen Nachreife befinde der Kläger sich an der unteren Grenze der Norm, was die geistige Leistungsfähigkeit betreffe. Außerdem seien Milieuschäden vorhanden. Er habe keinen Kontakt zu seiner geisteskranken Mutter und auch nicht zu seinen Pflegeeltern. 1976 wurden wegen "Geistesschwäche" ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "H" festgestellt. Ab 1978 lebte der Kläger in einem nahe des Landeskrankenhauses gelegenen Übergangswohnheim. Ausweislich eines Berichts der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie M vom 16.04.1997 kam es während der stationären Aufenthalte und in der Folgezeit zu kriminellen Handlungen. Bis April 1986 habe der Kläger sich im Maßregelvollzug befunden. Zum Zeitpunkt des Berichts der Klinik sei er dort bereits zum 19. Mal in stationärer Behandlung. Diagnostiziert wurde eine dissoziale Persönlichkeitsstörung bei grenzwertiger Intelligenzminderung sowie der V.a. ein hirnorganisches Anfallsleiden mit ausgeprägter psychogener Anfallstätigkeit. 1995 und 1998 wurden auch die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "B" und "RF" festgestellt. Der Kläger kann nicht lesen und schreiben.

Am 22.12.2014 beantragte der Kläger mithilfe seiner Lebensgefährtin beim Beklagten wegen "Gewalt- und Missbrauchserfahrungen" in "diversen Heimen/Psychiatrien" Leistungen nach dem OEG. Nähere Angaben könne die Mitarbeiterin des Beklagten Frau T machen. Seine Integrationshelferin Frau U teilte mit, nähere Informationen zu den Gewalttaten könnten Mitarbeiter der regionalen Anlauf- und Beratungsstelle für Betroffene der Heimerziehung in den Jahren 1945-1975 machen. Weitergehende Angaben seien nicht möglich. Die Behindertenstelle des Beklagten teilte mit, sie habe keine Informationen über Gewalttaten zum Nachteil des Klägers. Der Beklagte zog die Schwerbehindertenakte des Klägers bei und holte Befundberichte des Nervenarztes Dr. T1 sowie der Allgemeinmediziner Dres. I1 ein. Dres. I1 teilten mit, laut der Lebensgefährtin des Klägers sei "eventuell als Kleinkind in einem Kinderheim irgendetwas vorgefallen". Laut Dr. T1 gab der Kläger ihm gegenüber an, er sei im Heim geschlagen und lange missbraucht worden. Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 06.08.2015 ab, da weder Beweismittel vorlägen, noch eine detaillierte Schilderung der mutmaßlichen Taten. Der Kläger legte am 18.08.2015 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.01.2016 zurückwies.

Auf Nachfrage eines neuen Bevollmächtigten im Juni 2016 übersandte der Beklagte diesem nochmals den Widerspruchsbescheid.

Der Kläger hat am 04.07.2016 Klage beim Sozialgericht Detmold erhoben. Er hat geltend gemacht, er habe den Widerspruchsbescheid im Januar 2016 nicht erhalten. Er habe erstmals im Juni 2016 davon Kenntnis erlangt. Ca. im Alter von 12 Jahren sei er wegen vermeintlich fehlerhafter Gartenarbeiten ca. drei Wochen lang eingesperrt, mit einem Gartenschlauch blutig geschlagen und zweimal wöchentlich von einem Pfleger namens B vergewaltigt worden. Im K-Stift sei er durchgehend vier- bis fünfmal wöchentlich von Nonnen und Pflegern...

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