Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei einem Interviewer
Orientierungssatz
1. Eine von der selbständigen Tätigkeit abzugrenzende abhängige Beschäftigung besteht dann, wenn eine Beschäftigung in einem fremden Betrieb vorliegt, der Beschäftigte in diesen Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem, bezüglich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung, umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
2. Ist ein für ein privates Marktforschungsinstitut eingesetzter Interviewer nach einem vorgegebenen Fragenkatalog tätig, arbeitet er dabei telefonisch ausschließlich im Studio des Instituts und unterliegt er hierbei dessen Weisungsrecht, kann er seine Arbeit nur im Rahmen vorgegebener Öffnungszeiten des Instituts und den für das jeweilige Projekt vorgegebenen Interviewzeiten leisten und erfolgt die Vergütung nach einem Basisstundensatz und nach erfolgsabhängigen Parametern, so liegt eine die Versicherungspflicht auslösende abhängige Beschäftigung vor.
3. Demgegenüber kommt der Befugnis des Interviewers, auch für andere Unternehmen tätig zu werden, kein entscheidendes Gewicht zu.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22.6.2009 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 21.1.2010 wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin als Interviewerin Sozialversicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestand.
Die Klägerin ist ein privates und unabhängiges Markt- und Sozialforschungsinstitut, das Forschungs- und Beratungsleistungen für Unternehmen, Wissenschaft, Politik und Verwaltung erbringt. Die Klägerin führt Studien zu unterschiedlichen Themen durch, die in der Regel auf Erhebungen basieren. Oftmals erfordert der Untersuchungsgegenstand komplexe und umfangreiche Studien-Designs. Bei diesen ist die sorgfältige Anwendung unterschiedlicher Erhebungsmethoden zwingend erforderlich, wobei die Klägerin sämtliche Methoden der empirischen Sozialforschung anwendet. Sie entwickelte dafür u.a. auftragsspezifische, strukturierte Interviews mit festgelegten Fragen, die von den Interviewern regelmäßig telefonisch durchgeführt wurden. Die Klägerin bestimmte die zu befragenden Personen, die Zahl der für ein Projekt bzw. eine Studie durchzuführenden Interviews sowie die einzuhaltende sogenannte Feldzeit, bei der es sich um den Zeitraum handelt, innerhalb dessen die Befragung durchgeführt werden muss. Antworten der Gesprächspartner wurden über die für die jeweiligen Aufträge entwickelten Eingabemasken in den Computer eingegeben und die so gewonnenen Daten empirisch ausgewertet. Zur Durchführung der Interviews stellte die Klägerin den Interviewern im Streitzeitraum etwa 40 anonymisierte Arbeitsplätze mit Computer und Telefon in einem Telefonstudio zur Verfügung. Das Studio war die sogenannte Felderhebungseinheit im Hause der Klägerin, die durch den Tonstudioleiter mit Hilfe von vier Supervisoren geführt wurde. Je nach Frequentierung des Studios durch die Interviewer waren zum Teil mehrere Supervisoren, zumindest aber immer ein Supervisor während der Öffnungszeiten montags bis freitags von 8.00 bis 21.00 Uhr und am Wochenende von 10.00 bis 18.00 Uhr anwesend. Die Supervisoren hatten sich zum einen um organisatorische Dinge zu kümmern und z.B. sicherzustellen, dass jeder Interviewer seinen Telefonplatz fand, dass ihm ein Kopfhörer zur Verfügung gestellt wurde und dass seine EDV funktioniert. Sie leisteten Hilfestellung bei den zu führenden Interviews, unterstützten die Interviewer bei der Abwicklung und bestimmten letztlich, welches Projekt ein zur Verfügung stehender Interviewer "telefonierte". Zum anderen oblag den Supervisoren die Qualitätssicherung. Sie erhielten hierzu die Möglichkeit, durch einen Zufallsgenerator ausgewählte Telefoninterviews mitzuhören, um anschließend dem Interviewer ein entsprechendes auf eine Verbesserung der Interviewqualität gerichtetes Feedback zu geben. Das beschriebene Qualitätsmonitoring erfolgte zumindest einmal pro Arbeitseinsatz des Interviewers. Erreichten Interviewer auch nach mehrmaligen Coaching-Gesprächen beim Führen der Interviews nicht den von der Klägerin gewünschten Standard, wurden sie für das entsprechende Projekt von der Klägerin nicht mehr eingesetzt. Die Supervisoren bewerteten zudem zumindest zweimal pro laufendem Befragungsprojekt die Qualität der geführten Interviews der einzelnen Interviewer...