Entscheidungsstichwort (Thema)
Impfschadensrecht. ursächlicher Zusammenhang zwischen multipler Sklerose und Hepatitis-B-Schutzimpfung. Hernan-Studie. Angabe als Nebenwirkung auf Beipackzettel. Kannversorgung. zeitliche Verbindung zwischen Impfung und Krankheitsgeschehen
Orientierungssatz
1. Angesichts der Feststellung der Ständigen Impfkommission (STIKO), dass es nach derzeitigem Kenntnisstand, insbesondere nach Verwerfung der von M A Hernan et al im Jahre 2004 veröffentlichten Studie (sogenannte Hernan-Studie) durch die WHO, keine Evidenz für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen multipler Sklerose (MS) und Hepatitis-B-Impfung gibt, mangelt es an einer hinreichenden wissenschaftlichen Begründung eines entsprechenden Ursachenzusammenhangs.
2. Ein anderes Ergebnis rechtfertigt sich auch nicht daraus, dass die Medizinprodukt-Informationen (Beipackzettel) bezüglich möglicher Nebenwirkungen des Impfstoffs die MS nennen.
3. Für die Annahme der Ursächlichkeit zwischen Impfung und Krankheitsgeschehen im Rahmen einer Kannversorgung darf auf das Vorliegen einer entsprechenden zeitlichen Verbindung nicht verzichtet werden (hier verneint bei 4 Jahren zwischen Impfung und Krankheits-Diagnose).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 22.07.2011 wird zurückgewiesen.
Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin, die approbierte Zahnärztin ist und bei der eine Encephalomyelitis disseminata (multiple Sklerose - MS) diagnostiziert worden ist, begehrt die Feststellung, dass diese Erkrankung Folge von Hepatitis-Schutzimpfungen ist, denen sie sich 1998 und 2001 unterzogen hat.
Die Klägerin wurde mit dem Impfstoff Engerix B erstmals am 24.04.1998 gegen Hepatitis B (HBV) geimpft. Am 11.05.1998 zeigte sich bei ihr eine Lymphknotenschwellung (Lymphadenitis) und konsekutiv am 18.05.1998 eine Mandelentzündung (Tonsillitis). Drei Tage später erfolgte die Verdachtsdiagnose Pfeiffersches Drüsenfieber (infektiöse Mononukleose ausgelöst durch das Ebstein-Barr Virus). Die zweite HBV-Impfung erfolgte am 17.06.1998, der wiederum eine Lymphadenitis mit längerem zeitlichem Verlauf folgte. Die dritte HBV-Impfung wurde am 28.10.1998 durchgeführt. Am 30.11.1999 klagte die Klägerin über Missempfindungen (Parästhesien) im Bereich des Gesäßes, der Oberschenkelbeuger und der Fußsohlen. Der behandelnde Neurologe Dr. S schloss insoweit eine neurologische Ursache nicht aus. Am 16.02.2001 erfolgte eine Auffrischungsimpfung. Am selben Tag diagnostizierte Dr. E eine Neuralgie. Im April 2002 beklagte die Klägerin erneut Parästhesien im Bereich der Hand und des Kniegelenks, weswegen unter anderem der Verdacht auf eine abortive Form eines Lupus erythematodes mit diskreter Arthritis und neurologischen Symptomen der Hand von Dr. S geäußert wurde. Im September 2002 wurde erstmals der Verdacht auf eine neurologische Erkrankung vermerkt und am 14.04.2003 im Universitätsklinikum N die Diagnose einer entzündlichen ZNS-Erkrankung gestellt, wo schließlich am 11.07.2005 eine entzündliche ZNS-Erkrankung im Sinne einer MS diagnostiziert wurde.
Im Oktober 2006 beantragte die Klägerin die Anerkennung eines Impfschadens. Das Versorgungsamt N zog die Behandlungsunterlagen der Klägerin bei und lehnte mit Bescheid vom 05.12.2006 den Antrag ab. Auf den Widerspruch der Klägerin erstattete der Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidiomyologie / Facharzt für Laboratoriumsmedizin Dr. H sein Gutachten vom 26.02.2007. Darin kam er zu dem Ergebnis, der erste Hinweis auf eine MS habe sich am 02.10.2002 im Rahmen der cranialen MRT-Untersuchung im G-Hospital in C gezeigt, weswegen sich ein zeitlicher Zusammenhang zu den 1998 und 2001 durchgeführten Impfungen nicht herstellen lasse. Die entsprechende Diagnose sei erst 4 ½ Jahre nach der ersten HBV-Impfung und ein Jahr und acht Monate nach der 4. Impfung gestellt worden. Insoweit gebe es weder einen Beweis für einen direkten Pathomechanismus zwischen den Impfungen und der Manifestation der MS noch lasse sich ein zeitlicher Zusammenhang erkennen. Auch die Voraussetzungen für eine sogenannte Kannversorgung sei nicht erfüllt. Zwar seien auch heute noch die Ursachen einer MS nicht sicher zu benennen, jedoch sei durch vielfache Studien bewiesen, dass zwischen einer HBV-Impfung und einer MS-Erkrankung ein erhöhtes Risiko nicht bestehe. Dem schloss sich die Oberregierungsmedizinalrätin Dr. S1 an, woraufhin die Bezirksregierung N den Widerspruch der Klägerin zurückwies (Widerspruchsbescheid vom 09.08.2007).
Mit ihrer am 28.08.2007 vor dem Sozialgericht (SG) Münster erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, durch die Studie von M.A. Hernan et al (2004) sei der wissenschaftliche Beleg für einen Zusammenhang zwischen der HBV-Impfung und der MS-Erkrankung hinreichend erbracht. Der bei ihr dokumentierte Krankheitsverlauf, insbesondere die nach den ersten beiden Impfungen diagnostizierte Lymphadenitis, die sich als beginnende Symptome ei...