Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Anfechtungsklage. maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Grundsicherung für Arbeitsuchende. abschließende Entscheidung nach vorläufiger Entscheidung. Verletzung von Nachweispflichten durch den Leistungsberechtigten. Nullfestsetzung. Vorlage der angeforderten Unterlagen im Klageverfahren
Orientierungssatz
1. Die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage bestimmt sich nach dem materiellen Recht (vgl BSG vom 28.11.2018 - B 4 AS 43/17 R = SozR 4-4200 § 38 Nr 4 RdNr 16).
2. Hinsichtlich der Berücksichtigung nachträglich eingereichter Unterlagen unterscheidet sich eine Entscheidung nach § 41a Abs 3 S 4 SGB 2 vom Versagungsbescheid gemäß § 66 SGB 1. Während beim rechtmäßigen Versagungsbescheid die Nachholung der Mitwirkungshandlung im gerichtlichen Verfahren unbeachtlich und die Anfechtungsklage bei einer rechtmäßigen Versagungsentscheidung daher abzuweisen ist, ist dies bei einer Entscheidung nach § 41a Abs 3 S 4 SGB 2 nicht der Fall.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.07.2019 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor zur Hauptsache wie folgt neu gefasst wird:
"Der Bescheid des Beklagten vom 31.01.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2018 wird aufgehoben."
Der Beklagte hat die Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendete sich gegen eine Nullfestsetzung von zuvor vorläufig bewilligten Leistungen für Dezember 2016 bis Mai 2017. Umstritten ist zwischen den Beteiligten die nachträgliche Berücksichtigung von im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen.
Der am 00.00.1966 geborene Kläger ist alleinstehend. Er übte im streitigen Zeitraum eine selbständige Tätigkeit aus. Zuletzt vor dem streitigen Zeitraum bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 17.05.2016 vorläufig Leistungen von Juni 2016 bis November 2016 iHv monatlich 655 EUR. Nachdem der Kläger die für die endgültige Festsetzung erforderlichen Angaben gemacht hatte, setzte der Beklagte die Leistungen mit Bescheid vom 06.03.2017 endgültig iHv 398,22 EUR monatlich unter Anrechnung von Einkommen iHv 332,78 EUR monatlich fest.
Im Oktober 2016 beantragte der Kläger die Weiterbewilligung der Leistungen. Er gab Unterkunftskosten iHv insgesamt 318 EUR an und legte eine vorläufige EKS-Erklärung mit einem geschätzten monatlichen Gewinn iHv 58 EUR vor. Mit Bescheid vom 21.11.2016 bewilligte der Beklagte von Dezember 2016 bis Mai 2017 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iHv monatlich 408,16 EUR. Er setzte - abweichend von der Erklärung des Klägers - anzurechnendes Einkommen iHv monatlich 313,84 EUR an und berücksichtigte dabei den Durchschnittsgewinn der Monate August 2016 bis Oktober 2016. Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2016 bewilligte der Beklagte bei ansonsten unveränderten Verhältnissen ab Januar 2017 weiter vorläufig monatlich 413,16 EUR (Regelsatzerhöhung ab 01.01.2017).
Mit Schreiben vom 21.11.2017 forderte der Beklagte den Kläger auf, zur abschließenden Prüfung des Leistungsanspruchs von Dezember 2016 bis Mai 2017 die abschließende EKS-Erklärung, monatliche betriebswirtschaftliche Auswertungen, die entsprechenden Summen- und Saldenlisten sowie Nachweise ("Rechnungen, Quittungen, Kontoauszüge, Fahrtenbuch etc") zum Beleg der Angaben vorzulegen. Der Beklagte erteilte folgende Rechtsfolgenbelehrung:
"Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind und Änderungen in den Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen (§ 60 SGB I). Haben Sie bis zu dem genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66, 67 SGB I). Dies bedeutet, dass Sie keine Leistungen erhalten".
Mit Schreiben vom 15.12.2017 und 05.01.2018 erinnerte der Beklagte an die Aufforderung und forderte ergänzend die Kontoauszüge aller Konten für den Zeitraum Dezember 2016 bis Mai 2017 an. Der Beklagte setzte zuletzt eine Frist bis zum 22.01.2018 und wiederholte die o.a. Rechtsfolgenbelehrung. Allen Anforderungsschreiben war der Gesetzestext der §§ 60, 66 und 67 SGB I beigefügt.
Am 22.01.2018 ging die Anlage EKS bei dem Beklagten ein, die nur teilweise Gewinne auswies.
Mit Bescheid vom 31.01.2018 setzte der Beklagte - ausdrücklich gestützt auf § 41a Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB II - die Leistungen von Dezember 2016 bis Mai 2017 "auf 0,00 EUR" fest. Der Kläger habe nicht alle vom Beklagten verlangten Unterlagen übersandt. Der Kläger legte am 14.02.2018 Widerspruch ein und kündigte die Nachreichung von Unterlagen an. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.03.2018 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Rechtsgrundlage für den Bescheid sei § 41a Abs. 3 SGB II. Der Kläger habe nur die EKS- Erklärung, nicht aber die weiteren Unterlagen vorgelegt. Mit Bescheid vom 09.04.201...