Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweislast des Rentenversicherungsträgers bei einer von ihm geltend gemachten Beitragserstattung. Beweiskraft von Angaben im Gesamtkontospiegel des Rentenversicherungsträgers. Übersetzung einer in einer Fremdsprache verfassten Berufungsschrift durch das Gericht

 

Orientierungssatz

1. Hat das Gericht ein Berufungsschreiben, aus dem sich zweifelsfrei ergibt, dass sich der Kläger gegen die Entscheidung des Gerichts wendet, ins Deutsche übersetzen lassen und lag die deutsche Übersetzung dem Gericht innerhalb der Berufungsfrist vor, ist die Berufung fristgerecht eingelegt worden.

2. Zwar ist das Gericht nicht zur Übersetzung einer in einer Fremdsprache verfassten Berufungsschrift verpflichtet, die deutsche Übersetzung ist vom Gericht jedoch zu beachten, wenn sie vorliegt (vgl BSG vom 22.10.1986 - 9a RV 43/85 = SozR 1500 § 61 Nr 1).

3. Eine rechtswirksame Beitragserstattung setzt voraus, dass nachweislich ein Erstattungsantrag, ein wirksamer Erstattungsbescheid und eine rechtswirksame, befreiende Bewirkung der Leistung (= Erfüllung des Erstattungsanspruchs entsprechend § 362 BGB) vorliegen. Für die ordnungsgemäße und wirksame Durchführung der Beitragserstattung trägt der Rentenversicherungsträger die objektive Beweislast (vgl BSG vom 29.1.1997 - 5 RJ 52/94 = BSGE 80, 41 = SozR 3-2200 § 1303 Nr 6, LSG Essen vom 21.9.2004 - L 2 KN 19/03, vom 16.8.2007 - L 2 KN 259/06, vom 13.9.2011 - L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011 - L 18 (2) KN 42/08, L 18 KN 30/10 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012 - L 18 KN 82/10, vom 29.4.2014 - L 18 KN 21/11 und L 18 KN 120/12 sowie vom 6.5.2014 - L 18 KN 210/11).

4. Allein die im Versicherungskonto elektronisch gespeicherten Daten (dem sog "Gesamtkontospiegel") sind nicht ausreichend, um mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden, vernünftige Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit (Beweismaßstab des Vollbeweises) festzustellen, dass die drei genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies gilt selbst dann, wenn man zugunsten des beweisbelasteten Rentenversicherungsträgers ergänzend die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins (sog prima facie-Beweis) heranzieht (entgegen LSG München vom 18.11.2009 - L 13 R 559/08 sowie vom 17.7.2013 - L 13 R 275/12).

5. Hat der Rentenversicherungsträger etwaige (Original-) Unterlagen zu dem von ihm behaupteten Beitragserstattungsverfahren vernichtet, sodass lediglich noch der elektronische Datenbestand des Versicherungskontos, der Gesamtkontospiegel, zu Nachweiszwecken zur Verfügung steht, so führt dies nicht dazu, dass zu seinen Gunsten Beweiserleichterungen eingreifen, sodass an den Beweis der ordnungsgemäßen Beitragserstattung weniger hohe Anforderungen gestellt werden könnten.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 02.04.2015; Aktenzeichen B 13 R 361/14 B)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 14.12.2010 geändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 22.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009 verurteilt, dem Kläger ab dem 1.1.2011 Regelaltersrente zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist Regelaltersrente, hilfsweise eine finanzielle Unterstützung.

Der 1945 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger und war in Deutschland vom 6.10.1972 bis zum 5.3.1974, vom 1.4.1974 bis zum 30.11.1976, vom 1.2.1977 bis zum 31.3.1977 und vom 6.4.1977 bis zum 31.10.1978 versicherungspflichtig im Bergbau beschäftigt. Danach kehrte er nach Marokko zurück, wo er bis heute lebt.

Im Juni 2004 beantragte der Kläger Rentenleistungen unter Vorlage einer Lohnabrechnung der S Bergbau AG Westfalen betreffend den Monat 7/1976. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil keine auf die Wartezeit anrechenbaren deutschen Versicherungszeiten mehr bestünden. Die zur deutschen Rentenversicherung in der Zeit vom 6.10.1972 bis zum 30.10.1978 entrichteten Beiträge seien mit Bescheid vom 20.7.1982 erstattet worden. Versicherungszeiten nach dem 20.7.1982 seien weder behauptet noch nachgewiesen (Bescheid vom 3.9.2004). Dieser Bescheid konnte trotz Einschaltung der Deutschen Botschaft in Rabat dem Kläger nicht wirksam zugestellt werden.

Im April 2009 beantragte der Kläger die Gewährung einer Altersrente. Die Beklagte nahm einen (verschlüsselten) Ausdruck des den Kläger betreffenden (elektronisch gespeicherten) "Gesamtkontospiegels" zu den Akten. Darin sind im Versicherungskonto des Klägers unter der Schlüssel-Nr 1830 folgende Daten gespeichert: "Antrag 16.06.1982", "Bescheid 20.07.1982", "Erstattung von 06.10.1972 bis 31.10.1978", "Erstattungsbetrag 0,00" sowie "ESBT-KN 15661,20". Ferner ist nach diesem Kontospiegel - unter der Schlüssel-Nr 1860 "Ablehnung Versichertenrente" - der Bescheid vom 3.9.2004 gespeichert. Anschließend lehnte die Beklagte die Gewährung einer Regelaltersrente mit derselben Begründung wie 2004 ab (Bescheid vom 22.5.2009; Widersp...

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