Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen. Umfang. Mehrbedarf wegen erheblicher Gehbehinderung. Auszahlungsanspruch. weiterer notwendiger Lebensunterhalt. angemessener Barbetrag zur persönlichen Verfügung. Erhöhung des Mindestbarbetrags. Nachweis einer Mehrbelastung im Einzelfall. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. § 27b Abs 1 S 2 SGB 12 begründet weder einen Geldanspruch des Leistungsberechtigten noch lässt sich aus ihm ein individueller Leistungsanspruch ableiten. Die Vorschrift hat lediglich die Funktion, die Höhe des Anteils des notwendigen Lebensunterhalts an den in der Einrichtung tatsächlich erbrachten Leistungen im Sinne einer reinen Rechengröße zu bestimmen, um eine eventuelle Kostenbeteiligung des Leistungsberechtigten zu ermitteln.
2. § 27b Abs 2 SGB 12 regelt zwar einen Anspruch auf Auszahlung einer Geldleistung an den in einer stationären Einrichtung untergebrachten Leistungsberechtigten. Voraussetzung für eine Erhöhung des Mindestbarbetrags ist jedoch der Nachweis einer Mehrbelastung durch Ausgaben, die im Einzelfall eine solche Erhöhung rechtfertigen.
3. § 27b SGB 12 verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 14.11.2017 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt im Wesentlichen im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X die Bewilligung bzw. Auszahlung für einen Mehrbedarf nach dem SGB XII bzw. eine entsprechende Erhöhung des Barbetrags zur persönlichen Verfügung.
Die 1928 geborene Klägerin (GdB 100, Merkzeichen G, B und RF) lebt seit April 2005 im Altenwohnheim St. M in N, einer vollstationären Pflegeeinrichtung. Die monatlichen Pflege- und Unterbringungskosten beliefen sich im Jahr 2015 auf mindestens 2.680,16 EUR und maximal 3.165,68 EUR, im Jahr 2016 (bis September) auf mindestens 2.869,84 EUR und höchstens 3.067,76 EUR. Die Klägerin bezog in dem streitigen Zeitraum eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der monatliche Auszahlungsbetrag belief sich ab Januar 2015 auf 663,58 EUR, ab Juli 2015 auf 677,49 EUR, ab März 2016 auf 675,98 EUR und ab Juli 2016 auf 704,68 EUR. Darüber hinaus erhielt die Klägerin monatliche Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I in Höhe von 1.064 EUR, Pflegewohngeld i.H.v. 546,95 EUR sowie vom Amt für Wohnungswesen rückwirkend ab Januar 2016 Wohngeld i.H.v. 253 EUR pro Monat (Bescheid vom 01.02.2016). Die durch das Einkommen der Klägerin nicht gedeckten Heimkosten übernahm die Beklagte von Januar 2015 bis September 2016 - wie schon seit Beginn des Heimaufenthalts - neben dem Pflegewohngeld als Leistungen der Hilfe zur Pflege und zum Lebensunterhalt in Einrichtungen sowie (bis einschließlich Februar 2016) ergänzend als Leistung der Grundsicherung im Alter. Einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII berücksichtigte die Beklagte im Rahmen der jeweiligen Bedarfsberechnung nicht. Wegen der Einzelheiten wird auf die entsprechenden Bewilligungsbescheide vom 16.12.2014, 21.01.2015, 18.02.2015, 20.05.2015, 22.06.2015, 22.07.2015, 21.08.2015, 22.09.2015, 17.12.2015 und 21.01.2016 Bezug genommen. Darüber hinaus erhielt die Klägerin von der Beklagten jährlich Beihilfen für Bekleidung (vgl. den Bescheid vom 26.03.2015 über eine Beihilfe i.H.v. 405 EUR sowie den Bescheid vom 25.01.2016 über eine Beihilfe i.H.v. 408 EUR).
Am 26.01.2016 beantragte die Klägerin durch ihre gesetzliche Betreuerin und Bevollmächtigte bei der Beklagten die Überprüfung der Bewilligungsbescheide ab April 2006. Sie habe der Beklagten bereits im April 2006 den Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "G" übersandt. Dennoch sei ein Mehrbedarf wegen ihrer Gehbehinderung auch noch in dem zuletzt ergangenen Bewilligungsbescheid vom 21.01.2016 nicht anerkannt worden.
Mit formlosem Schreiben vom 18.02.2016 teilte die Beklagte der Bevollmächtigten der Klägerin mit, den Mehrbedarf für die Zeit ab Januar 2015 "nachgepflegt" zu haben. Dies sei dem Bescheid für März 2016 zu entnehmen. Finanzielle Auswirkungen habe die nur interne Verrechnung für die Klägerin jedoch nicht.
Durch Bescheid vom 20.02.2016 änderte die Beklagte die Bewilligungs- und Änderungsbescheide vom 16.12.2014, 21.01.2015, 18.02.2015, 20.05.2015, 22.06.2015, 22.07.2015, 21.08.2015, 22.09.2015, 17.12.2015 und 21.01.2016, gestützt auf § 48 Abs. 1 Ziffer 1 SGB X, § 44 Abs. 4 SGB X und § 116a SGB XII, ab dem 01.01.2015 ab und erkannte für die Zeit von Januar 2015 bis September 2016 einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.H.v. 17 v.H. der Regelbedarfsstufe 3 an (für 2015 i.H.v. 54,40 EUR, ab 01.01.2016 i.H.v. 55,08 EUR). Hierdurch ergaben sich Verschiebungen in der Zuordnung von Leistungen aus der Hilfe zur Pflege zu den Leistungen für den Lebensunterhalt bzw. zur Grundsicherung im Alter. Zusätz...