Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an das Rechtschutzbedürfnis für eine zu einem Erstattungsbescheiderhobene Anfechtungsklage - Voraussetzungen der Wirksamkeit eines gegenüber einer Bedarfsgemeinschaft ergangenen Grundsicherungsbescheides
Orientierungssatz
1. Eine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG erfordert zu ihrer Zulässigkeit ein bestehendes Rechtschutzinteresse.
2. Bei dem Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 2 SGB 10 handelt es sich um einen verschuldensabhängigen Anspruch. Besteht ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse, in einem nachfolgenden Verfahren zu klären, ob ein noch zu erlassender Erstattungsbescheid, gestützt auf § 50 Abs. 2 SGB 10 rechtmäßig ist, so ist das für eine gegen einen ergangenen Erstattungsbescheid erhobene Anfechtungsklage erforderliche Rechtschutzbedürfnis gegeben.
3. Maßgeblich für die Auslegung eines Verwaltungsaktes ist der objektive Empfängerhorizont.
4. Nach § 33 Abs. 2 S. 1 SGB 10 kann ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Damit wird auch konkludentes Handeln der Verwaltung erfasst. Es muss aber ausreichend Anhaltspunkte dafür geben, dass die Behörde eine Verwaltungsentscheidung getroffen hat und auch treffen wollte (BSG Urteil vom 7. 7. 2005, B 3 P 12/04 R).
5. In jedem Fall muss ein Verwaltungsakt zu seiner Wirksamkeit hinreichend bestimmt i. S. von § 33 Abs. 1 SGB 10 sein.
6. Dies ist bei einem gegenüber einer Bedarfsgemeinschaft ergangenen Grundsicherungsbescheid nicht der Fall, wenn aus ihm lediglich die Summe der Ansprüche ihrer Mitglieder, nicht jedoch die jeweiligen Individualansprüche hervorgehen.
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 06.03.2020 geändert. Der Bescheid vom 30.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2019 wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger. Die Auferlegung von Kosten nach § 192 SGG wird aufgehoben. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen den Bescheid vom 30.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2019, mit dem ihre Leistungsansprüche für die Zeit vom 01.04.2016 bis 30.09.2016 abschließend auf 0,00 EUR monatlich festgesetzt werden.
Der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. sind verheiratet. Bei den Klägerinnen zu 3. und zu 4. handelt es sich um ihre gemeinsamen Kinder. Ab dem 01.01.2018 bezog der Kläger zu 1. für beide Kinder Kindergeld i.H.v. von jeweils 194,00 EUR monatlich.
Die Kläger bezogen als Bedarfsgemeinschaft vom Beklagten bis 2016 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Teilweise wurden die Grundsicherungsleistungen wegen schwankenden Einkommens des Klägers zu 1. aus Erwerbstätigkeit vorläufig bewilligt. Es erfolgten endgültige Festsetzungen.
Seit dem 10.07.2017 war der Kläger zu 1. bei der Firma B GmbH mit schwankendem Einkommen beschäftigt. Auf den Konto des Klägers zu 1. erfolgten in der Zeit vom 01.04.2018 bis 30.09.2018 folgende Gutschriften:
11.04. 997,71 Lohn 3/08
26.04. 800,00 Abschlag
11.05 1.147,22 Lohn 4/2018
24.05 800,00 Abschlag
07.06. 798,12 EUR Obj. Abrg.30.06.2017
11.06 1.276,53 EUR Lohn 5/2018
22.06 800,00 EUR Abschlag
10.07 1.328,65 EUR Lohn 6/2018
25.07 800,00 EUR Abschlag
08.08 1.095,85 EUR Einkommenssteuer
10.08 1.329,32 EUR Lohn 7/18
20.08. 214,27 EUR Einkommenssteuer
27.08 800,00 EUR Abschlag
10.09 1.420,09 EUR Lohn 8/18
25.09. 800,00 EUR Abschlag
Ab Oktober 2017 bezogen die Kläger Grundsicherungsleistungen vom Beklagten.
Am 05.04.2018 beantragte der Kläger zu 1. unter Vorlage von Lohnabrechnungen für die Monate Januar 2018 und Februar 2018 die Weiterbewilligung von Grundsicherungsleistungen. Mit Bescheid vom 06.04.2018, mit der Überschrift "Bescheid über die vorläufige Gewährung von Grundsicherungsleistungen gemäß § 41a SGB II" , adressiert an den Kläger zu 1, teilte der Beklagte mit, dass er auf Grundlage des bisherigen Verdienstes des Klägers in den letzten zwei Monaten ein Durchschnittseinkommen i.H.v. 1.583,20 EUR gebildet habe, welches er vorläufig auf seine Leistungen anrechnen werde. In dem Bescheid heißt es unter der Überschrift "Hinweis" u.a ...:
" Die abschließende und endgültige Bewilligung der Leistung erfolgt nach Beendigung des Bewilligungszeitraums unter Berücksichtigung des tatsächlichen Durchschnittseinkommens/Gewinns auf der Grundlage der von Ihnen ein-gereichten Lohn-/Gewalt Gehaltsabrechnungen/Gewinnberechnung. Um zeitnah die endgültige Festsetzung des tatsächlichen Durchschnittseinkommens vornehmen zu können, bitte ich Sie, die Einkommensnachweise regelmäßig der Sozialagentur vorzulegen. Für den Bewilligungszeitraum vom 01.04.2018 bis 30.09.2018 reichen Sie die Einkommensnachweise spätestens bis zum 20. des jeweiligen Folgemonats ein. Wie sich ihr vorläufiger Leistungsanspruch im Einzelnen zusammensetzt, bitte ich dem gesonderten Bescheid über Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Bewilligungszeitraum zu entnehmen (maschineller Leistungsbescheid)."
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