Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei einem Fahrer

 

Orientierungssatz

1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit verrichtet wird und eine Eingliederung in einen fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

2. Ist ein Fahrer in die Betriebsorganisation seines Auftraggebers eingegliedert und dessen Weisungsrecht unterworfen, unterliegt er dabei keinem unternehmerischen Risiko, erhält er eine erfolgsunabhängige feste Vergütung pro Arbeitstag und hat er bei seiner Tätigkeit eigenes Kapital nicht einzusetzen, so ist von dem Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.

3. Demgegenüber kommt dem Fehlen von Ansprüchen auf bezahlten Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall keine entscheidende Bedeutung zu.

4. Der Tatsache, dass der Betreffende ein eigenes Gewerbe angemeldet hat, kommt als lediglich formales Kriterium keine wesentliche Aussagekraft zu.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 22.5.2015 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 19.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.2.2013 wird in Höhe der Säumniszuschläge (10.557,50 EUR) aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten in beiden Rechtszügen zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5, jeweils mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 49.058,45 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Betriebsprüfungsbescheides der Beklagten, mit dem diese für den Zeitraum vom 1.12.2006 bis zum 31.12.2009 eine Nachforderung an Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für den Beigeladenen zu 1) als Fahrer bei der Klägerin i.H.v. insgesamt 49.058,45 Euro feststellte.

Bei der Klägerin handelt es sich um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR, Betriebsnummer: 000). Sie war im Streitzeitraum als Speditionsunternehmen im Bereich Stückguttransport, u.a. für die Unternehmen L und N tätig. Schriftliche Verträge wurden zwischen der Klägerin und ihren Auftraggebern nicht geschlossen. Die Klägerin wurde vom Vater der beiden heutigen Gesellschafter gegründet und im Rahmen vorweggenommener Erbfolge auf die Söhne übertragen. Zu diesem Zweck wurde zum 1.8.2000 die GbR gegründet, deren Gesellschafter die Herren K und U F sind. Die Klägerin meldete zum 1.12.2016 ihr Gewerbe ab und befindet sich derzeit im Auseinandersetzungsverfahren.

Ferner sind die Gesellschafter der Klägerin als Inhaber bzw. Geschäftsführer der folgenden Unternehmen tätig: Herr K F ist im Rahmen des einzelkaufmännischen Unternehmens F Güterverkehr e.K. (Betriebsnummer: 001, AG C, HRA 000) und des nicht in das Handelsregister eingetragenen Unternehmens K F Kleintransporte (Betriebsnummer: 003) tätig. Zudem ist er Geschäftsführer der K GmbH (Amtsgericht [AG] C, HRB 000). Herr U F handelt ferner unter der Firma Güternahverkehr U F (003: 002).

Der 1964 geborene Beigeladene zu 1) verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Seit seiner Jugend bis zum 30. Lebensjahr arbeitete er im elterlichen Betrieb, einem Imbiss, mit. Dieser war nach dem Vortrag der Beteiligten zuletzt als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) organisiert, deren Geschäftsführer der Beigeladene zu 1) war. Zudem war er nach eigenen Angaben als Kraftfahrer in unterschiedlichen Zeiträumen bei den verschiedenen Unternehmen der Gesellschafter der Klägerin tätig. Zum 1.5.2006 meldete der Beigeladene zu 1) unter seiner Wohnanschrift ein Gewerbe für die Tätigkeit "Produktion von Video, Audio und Multimedia" an. Dieses erweiterte er zum 1.4.2007 um die folgenden Tätigkeiten: "Handel, Vermietung und Service von Fahrzeugen sowie Handel, Vermietung und Dienstleistungen im IT-Bereich, Vermittlung von Personal, Kurierdienst und Fahrservice für Dritte". Die Abmeldung erfolgte nach seinen Angaben im Oktober 2011. Er unterhielt im Streitzeitraum eine Internetpräsenz ("G.de"). Dort warb er für seine Leistungen, nämlich im Bereich Lkw und Pkw für Fahrtätigkeiten in Urlaubs- und Krankheitsvertretung und Überführungen sowie Schwertransportbegleitung. Zudem veröffentlichte er dort seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), auf deren Inhalt Bezug genommen wird, und auf die er auch im Rahmen seiner Rechnungsstellung jeweils verwies.

Die Beigeladene zu 3) gewährte dem Beigeladenen zu 1) für seine Selbständigkeit als Video-Produzent im Zeitraum vom 1.5.2006 bis zum 30.4.2009 durchgängig einen Existenzgründerzuschuss nach § 421l Sozialgesetzbuch Drittes Buch ([SGB III]) - Besch...

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